Metadata: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 24. Kirchliche Leitung des Religionsunterrichts. 419 
Religionsunterricht an die Religionsgesellschaften unbestreitbar in der 
Linie der Trennung von Staat und Kirche liegt. 
Der in Rede stehende Einfluß soll nach Abs. 2 darin bestehen, 
daß die „betreffenden Religionsgesellschaften“ den religiösen Unterricht 
„leiten“. 
Die oktr V hatte an der Parallelstelle, Art. 21 Abs. 2 gesagt „be- 
sorgen und überwachen“; erst der Zussch setzte an die Stelle dieses 
Wortpaares das „leiten“ des geltenden Textes (oben 434). Auf das 
„Besorgen und Überwachen“ des Religionsunterrichts bezieht sich der 
wiederholt (oben 432 und 448) angeführte Satz der „Erläuterungen“, 
welcher der Kirche die „nächste Aufsicht“ über jenen Unterricht über- 
lassen will. Durch diesen Satz wird das „besorgen und überwachen“ 
nicht sowohl motiviert als interpretiert. Und zwar dahin interpretiert, 
daß nicht nur das „überwachen“", sondern auch das „besorgen“ eine 
aufsichtliche Tätigkeit darstellen soll. Aufsicht steht im Gegensatz zu 
dem Wesen der unmittelbar wirksamen, tätigen Verwaltung (s. oben bei 
Art. 23 S. 410, 411). Die oktr V will mithin den Religionsgesellschaften 
nur die Beaufsichtigung (und zwar die „nächste“ Beaufsichtigung), nicht 
aber die Erteilung des Religionsunterrichts übertragen. Sie gibt der 
Kirche keinen Rechtsanspruch darauf, den Religionsunterricht in den 
öffentlichen Volksschulen in ihre eigene und unmittelbare Verwaltung 
zu übernehmen. Die Richtigkeit dieser Auslegung wird durch die „Er- 
läuterungen" (S. 31, vgl. oben S. 432, 433) bestätigt; die Prätension der 
Kirche, dem öffentlichen Volksschullehrer die Befugnis zum Religions- 
unterricht zu entziehen, wird dort ausdrücklich zurückgewiesen (val. auch die 
zutreffenden Ausführungen von Dirksen gegen Rintelen, Värch 17 409). 
Der Ausdruck „besorgen und überwachen“ gibt somit der Kirche weniger, 
als er beim ersten Blick auf den Wortlaut zu geben scheint. Er war 
nicht so weitgehend gemeint, wie in andern außerpreußischen Gesetzen, die 
ihn, gleichviel ob in bewußter Anlehnung an Abs. 2 oder selbständig, 
zur Bezeichnung des kirchlichen Einflusses auf den öffentlichen Religions- 
unterricht ebenfalls gebrauchen: in dem österreichischen Volksschulgesetz 
vom 14. Mai 1869, 5 5, und dem badischen Schulgesetz vom 13. Mai 1892 
(Fassung vom 7. Juli 1910, Bad. G= u. VBl 385), § 40 Abs. 2. Die öster- 
reichische Bestimmung geht dahin: „Der Religionsunterricht wird durch die 
betreffenden Kirchenbehörden besorgt und zunächst von ihnen überwacht", 
die badische lautet, fast wörtlich übereinstimmend: „Der Religionsunterricht 
wird durch die betreffenden Kirchen und Religionsgemeinschaften besorgt und 
überwacht“ (val. Hinschius, Kirchenrecht 4 605, Walz, Badisches StR 438). 
In beiden Ländern ist das „besorgen und überwachen“ so ausgestaltet, 
Anschütz, Preuß. VBerfafsungs-Urkunde. I. Band. 29
	        
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