Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwölfter Jahrgang. 1871. (12)

376 TLrankreich. 
„Theure Mitbürger! Die Belagerung hat begonnen. Eine französische 
Regierung wagt das preußische Werk fortzusetzen, indem sie unsere Stadt 
bombardirt. Wir protestiren im Namen von ganz Paris, entrüstet und er- 
bebend. Es ist Zeit, diesem Bruderkampf ein Ziel zu setzen. Schreckliche 
Mißverständnisse verlängern ihn. Er wird aufhören; er muß am Tag auf- 
hören, wo wir Frankreich bewiesen haben, daß Paris, weit davon entfernt, 
seinen Willen aufzwingen zu wollen, nur seine Unabhängigkeit, und nicht 
diesen oder jenen Mann, sondern nur das große Princip der Gemeindefreiheit 
vertheidigen will. Was ist diese Gemeindefreiheit! In welchen Punkten ist 
die ganze Bevölkerung von Paris. Bourgeosie und Proletarier einig? Wir 
haben sie schon angedeutet, wir geben sie genauer an: Paris wählt seinen 
Gemeinderath, der allein das Budget der Stadt regulirt. Die Polizei, das 
öffentliche Unterstützungswesen, der Unterricht, die Garantie für die Gewissens- 
freiheit hängen allein von ihm ab. Es gibt keine andere Armee in Paris, 
als die aus allen tauglichen Bürgern bestehende Nationalgarde. Sie wählt 
ihre Chefs und ihren Generalstab nach der vom Gemeinderath angegebenen 
Weise, so daß die Militärbehörde immer der Civilbehörde untergeordnet ist. 
Paris liefert den auf es fallenden Theil der allgemeinen Ausgaben Frank- 
reichs, und im Fall eines nationalen Krieges sein Contingent. Die regel- 
mäßige Armee kommt nicht nach Paris, und es wird ihr eine Grenze gesteckt, 
die sie nicht überschreiten darf, wie es früher in Rom war, wie es heute in 
London ist, und wie es selbst in Paris unter der Verfassung des Jahres III 
war. Paris erwählt seine Beamten und seine Richter. Diese legitimen For- 
derungen sind im Geiste aller. Trennt sich Paris von Frankreich! Nein! Paris 
kann nicht das Werk der großen französischen Revolution vernichten. Es setzt 
dasselbe fort. Aber Paris, während zwanzig Jahren noch mehr unterdrückt 
als der Rest des Landes, will seine Freiheit wieder erobern, und seine Rechte 
bekräftigen. Das, was vorgefallen, ist keine Emeute. Es ist eine Revolution. 
Möge die Regierung sich verpflichten, auf jede Verfolgung betreffs der Er- 
eignisse vom 18. März zu verzichten; möge man andererseits zur Sicherung 
des freien Ausdrucks des allgemeinen Stimmrechtes zur allgemeinen Wieder- 
wählung der Commune von Paris schreiten; möge eine große und wichtige 
Kundgebung der öffentlichen Meinung dem Kampf ein Ende machen; möge 
ganz Paris mit uns unterzeichnen! Heute, wie zur Zeit der Belagerung, 
handelt es sich um die Rettung der Republik, um die Rettung Frankreichs. 
Wenn die Versailler Regierung diesen legitimen Forderungen gegenüber taub 
bleibt, so möge sie wohl wissen, daß ganz Paris sich erheben wird, um sie 
zu vertheidigen.“ 
12. April. Nationalversammlung: Berathung des Gemeindegesetzes: Auf den 
Antrag von Leon Say wird für Paris mit 445 gegen 124 Stimmen 
beschlossen: die 20 Arrondissements von Paris ernennen jedes 4 Mit- 
glieder in den Gemeinderath. Diese 4 Mitglieder werden durch per- 
sönliche Abstimmung mit der absoluten Mehrheit und von jedem Viertel 
eines gewählt. 
12.— 13. „ In Paris nehmen die Insurgenten in heißem Kampfe wieder 
den größten Theil von Neuilly bis zur Brücke. Ein Sturm auf die 
Stadt ist damit vorerst beseitigt. 
13. „ Nationalversammlung: vertagt jede Interpellation bez. Paris auf 
einen Monat und macht damit allen Vermittlungsversuchen ein Ende. 
Die Delegirten der Pariser „republ. Union“ berichten über den 
Erfolg ihrer Mission bei Hrn. Thiers:
	        
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