Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 198 
den war, die Einführung der entsprechenden Reformen auf dem Gebiete der 
Disciplin und des Cultus den verfassungsmäßigen Organen der Kirche vor- 
zubehalten. Nachdem nun ein solches Organ in der Synode hergestellt ist, 
werde es Sache dieser sein, den dringenden Bedürfnissen in dieser Beziehung 
gerecht zu werden. Daß eine Verständigung hierüber nicht so schwer werden 
werde, als es scheine, habe sich aus den Privatbesprechungen der Delegirten er- 
geben, wobei eine große Uebereinstimmung der Ansichten über Art und Aus- 
dehnung der Reformen sich gezeigt habe. Indessen liege in der durch 59 
der Kirchenverfassung ausgesprochenen Abschaffung der Stolgebühren, Meß- 
stipendien, Gebetsgelder u. dgl. bereits ein wesentlicher Fortschritt, ferner 
aber sei durch die Proklamirung der Bibel als der Grundlage des Altkatho- 
licismus erst ein fester Boden für alle Reformen gewonnen worden. Als charak- 
teristischer Zug des Congresses wird bezeichnet, daß das religiöse Element 
gegenüber dem politischen ganz entschieden in den Vordergrund getreten sei, 
und daß gerade von den mächtigsten Rednern auf die Verinnerlichung der 
Religion, auf die Erweckung der Gewissen hingewiesen wurde. Von einer 
noch gar nicht berechenbaren Wirkung dürfte sodann die offene Darlegung 
der geschichtlichen Unwahrheit des Papalsystems vor Tausenden von Zuhörern 
aus allen Ständen sein. Um übrigens den auf solche Weise aus süßen Täu- 
schungen aufgescheuchten und in Gewissensskrupel versetzten Gläubigen sofort 
auch einen Ersatz und eine Hilfe zu gewähren, seien sie von allen Rednern, 
namentlich aber vom Bischof Reinkens nachdrücklichst hingewiesen worden auf 
die heilige Schrift als das Wort der Wahrheit und des ewigen Lebens. Mit 
Recht habe der Bischof diese seine Rede als eine That bezeichnet; denn er 
habe damit der ganzen Bewegung eine positive Grundlage gegeben, welche 
zugleich die Verständigung mit allen übrigen Confessionen eröffne, wie dies 
auch v. Schulte in dem Schreiben an die evangelische Allianz andeutete. 
Wenn man demnach die Ergebnisse des dritten Altkatholiken-Congresses zu- 
sammenfassen wolle, so müsse man als solche bezeichnen: 1) die Schaffung 
einer volksthümlichen, freien Kirchenverfassung unter Beseitigung des römi- 
schen Papstes, und 2) die Erklärung der heiligen Schrift als Grundlage des 
altkatholischen Glaubens. 
Folgendes sind die Grundzüge der beschlossenen Synodal= und Ge- 
meindeordnung: Der erste Abschnitt (§ 1—4) spricht aus, daß die Alt- 
katholiken alle den Katholiken zustehenden Rechte auf Kirchen, Pfründen und 
Stiftungen, sowie auf die vom Staate für katholische Zwecke gewährten 
Summen vorbehalten, ebenso die Befolgung auch derjenigen staatlichen Vor- 
schriften, welche in den folgenden Paragraphen nicht ausdrücklich erwähnt 
wurden. Der zweite Abschnitt (§ 5—12) bezieht sich auf den Bischof. Dieser 
wird von der Synode gewählt und muß eine den Regierungen, die den Bi- 
schof als solchen bereits anerkannt haben, genehme Persönlichkeit sein. Der 
Bischof kann sich einen Generalvikar bestellen, sei es ein geistliches Mitglied 
der Generalrepräsentanz oder — im Einverständniß mit dieser — einen an- 
deren Geistlichen. Der dritte Abschnitt (§ 13—20) handelt von der Synodal- 
Repräsentanz, die von der Synode gewählt wird, aus 4 Geistlichen und 5 
Laien besteht, und in deren Sitzungen der Bischof den Vorsitz führt. Der 
vierte Abschnitt (§ 21—34) betrifft die Synode, die alljährlich stattfinden 
soll. Während die vorhergehenden Abschnitte zu längeren Discussionen keine 
Veranlassung gaben, rief der § 22, der von der Zusammensetzung der Sy- 
node handelt, eine längere Debatte hervor. Der Paragraph erklärt zu Mit- 
gliedern der Synode den Bischof, die Synodal-Repräsentanz, alle katholischen 
Geistlichen und Delegirte der Gemeinden (auf 100—200 Männer 1 Dele- 
girter). Hier beantragte nun Bischof Reinkens, zu setzen: „Alle katholischen 
Geistlichen, welche im Dienste unserer Kirche mit Genehmigung des Bischofs 
thätig sind“ — während Professor Friedrich sich gegen diese Bedingung der 
bischöflichen Genehmigung energisch erhob. Ober-Regierungsrath Wülffing 
13*