240 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (März 17.—20.)
17. März. (Österreich: Katechetengesetz.) Abg.-Hs.:
nimmt nach mehrjähriger Verschleppung und langwierigen Verhand-
lungen den Gesetzesvorschlag, welcher die Bezüge der Religionslehrer
an den Volks= und Bürgerschulen regelt, an.
Das Gesetz bezweckt, eine Besoldung der Religionslehrer zu schaffen,
bisher mußten die Kirchen und Religionsgesellschaften denselben umsonst
leisten. Der Widerstand besonders in der Majorität betrifft einen § der
Ausführungsbestimmungen, betreffs dessen dieselbe eine Erweiterung der Kom-
petenz der Landesgesetzgebung auf Kosten der Reichsgesetzgebung anstrebte,
doch gelangt das Gesetz schließlich ohne diese Klausel zur Annahme.
20. März. (Österreich: Ritter v. Schönerer.) Abg.-
Haus: beschließt gemäß dem Antrage des Immunitätsausschusses
die Auslieferung des Abg. v. Schönerer an das Landgericht Wien
wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit; ferner wegen
Beleidigung von Amtspersonen und Übertretung des Verhand-
lungsrechts.
Die Sitzung ist überaus erregt, der Andrang des Publikums groß,
doch findet keine Störung statt, da Vorsichtsmaßregeln getroffen sind.
Den Grund zur Verfolgung v. Schönerers bildet erstens ein von
diesem im Verein mit etwa 20 jungen Leuten in der Nacht vom 8. zum
9. März in der Redaktion des „Neuen Wiener Tagblattes“ verübter Über-
fall. Die Angreifer, Schönerer selbst, waren nach dem Laute der Beschul-
digung mit Stöcken und Schlagringen bewaffnet. Schönerer hatte nach Be-
setzung der Türen des Lokals, in welchem sich 3 Mitglieder des Redaktions-
personals und eine Telegraphistin befanden, diesen zugerufen: „Zigarren aus
dem Munde! Die frechen Judenbuben haben uns schon viel angetan, aber
daß sie den Tod Sr. Majestät unseres erlauchten Kaisers nicht abwarten
können, das dulden wir nicht.“ Dann wiederholt: „Juden auf die Kniee,
schlagt sie nieder!“ u. a. Der Auftritt hatte eine heftige Schlägerei zur
Folge, bei der die Angreifer durch das aufgebotene Setzerpersonal aus dem
Hause gedrängt werden, nachdem v. Schönerer vorher das Feld geräumt hatte.
Der zweite Antrag auf strafrechtliche Verfolgung erfolgt auf Grund
der Teilnahme v. Schönerers an Ausschreitungen bei polizeilicher Auflösung
der Stiftungsfestkneipe der Burschenschaft Teutonia in Wien, infolge politi-
scher-antisemitischer und großdeutscher Demonstrationen. U. a. hatte Schönerer,
nachdem der Polizeikommissar die Auflösung der Versammlung ausgesprochen,
diese zur Absingung der „Wacht am Rhein"“ veranlaßt und ein von unge-
heurem Beifall gefolgtes: „Pereat dem verhätschelten Liebling der Juden-
presse!“ (Min. v. Gautsch) ausgebracht.
Bei der Verhandlung im Abg.-Hse. zieht sich v. Schönerer durch
schwere Beschimpfungen der Presse wiederholt Ordnungsrufe zu und wird
vom Präsidenten zur Mäßigung unter Androhung der Wortentziehung er-
mahnt. v. Schönerer: Wenn man mir das Wort entzieht, dann werde
ich an das Haus appellieren, ob mir das Wort entzogen werden soll. Sollte
aber das Haus gegen mich entscheiden, dann wird nicht ein Dritteil, dann
werden drei Vierteile des christlichen Volkes in mein Lager kommen. (Laute
Heiterkeit.) Am 24. Februar habe ich dieselben Ausdrücke gebraucht, und
der anwesende Polizei-Kommissär fand nichts gegen dieselben zu erinnern.
(Schreiend:) Es war dem Präsidenten des Parlaments vorbehalten, die Rolle
eines Polizei-Ober-Kommissärs zu spielen. (Stürmische Unterbrechung, an-