Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 31.—April 1.) 51
machen und zu sagen: „weiter geht es nicht?“ Und wie wenig Sie das
können, das hat heute und in diesen Tagen wiederholt der Herr Staats-
sekretär von Bötticher uns gezeigt. Er hat uns gesagt: wir thun dieses
jetzt und werden, wenn wir können, es demnächst weiter thun. Man sagt:
wir werden es nicht können. Das ist aber eine Frage, die zwischen den
Begehrenden und denen, die zu geben haben, disputabel wird, und in diesem
Disput entscheiden schließlich die Massen. Ein absolutes Regiment könnte
vielleicht einen solchen Versuch wagen, weil es in der Hand hat, zu sagen:
bis hier und weiter nicht! Aber ein konstitutionelles Regiment kann das
nicht, und ein Regiment mit dem allgemeinen direkten Wahlrecht kann es
nun mal gar nicht. Und ich sage Ihnen, meine Herren, dieses Gesetz, wenn
es sich in seiner ganzen Kraft entwickelt haben wird und in dem fort und
fort wachsenden Verlangen des vierten Standes neue Schwierigkeiten erzeugt,
wird in notwendiger Folge das allgemeine direkte Wahlrecht auf das äußerste
gefährden. Das lautet sonderbar; aber wenn ich nicht mehr bin, denken
Sie daran: es wird kommen!
Ich behaupte: ein solches Gesetz kann gar nicht gegeben werden, weil
ein Abschluß nicht möglich ist, weil die Grenze nicht festgestellt ist, und weil
die, welche es geben, jetzt schon verkünden: sobald wir können, geben wir
mehr. Und so lange die Herren, die dieses Gesetz machen, besser gestellt find,
besser leben, besser sich kleiden, bessere Vergnügungen haben als die nichtbe-
sitzenden Klassen, wird man von seiten dieser Klassen immer sagen: sagt doch
nicht, daß ihr es nicht geben könnt; leben wir denn wie ihr?
Nein, meine Herren, ich warne vor diesem Vorgehen. Es ist ein
voller Schritt — nicht in das Dunkle, nein! — sondern auf dem hell er-
leuchteten Wege der Sozialdemokratie; und jeder, der für dieses Gesetz stimmt,
ist, er mag es bekennen oder nicht, wissend oder nichtwissend ein vollendeter
Sozialdemokrat (große Heiterkeit), und wenn die „Volkszeitung“ dieses Gesetz
verteidigt hätte, würde ich allerdings sagen: die „Volkszeitung" ist ein so-
zialdemokratisches Blatt. (Heiterkeit.) Meine Herren, ich bleibe also dabei,
daß wir keine Grenze bei dem beabsichtigten Vorgehen haben, keinen Ab-
schluß, daß wir uns auf einen Weg begeben, auf dem wir immer weiter
gezogen werden, auf dem Halt zu machen unmöglich ist. Und wenn das
der Fall ist, so kann ich einen Sprung in solche dunkle Zukunft nicht wagen.
Viele Herren haben mir heute gesagt: „es ist wahr, das Gesetz ist unendlich
bedenklich; ich begreise nicht, wie man es hat vorlegen können; wäre es
nicht vorgelegt! — jetzt aber muß es kommen; wir haben es so lange be-
arbeitet; wir desavouieren sonst die Herren, die sich so lange abgemüht
haben.“ — Nein, meine Herren, wir desavouieren die Herren gar nicht.
Die Herren haben sich um das Vaterland wahrhaft verdient gemacht; denn
ihre Erörterungen im Schoße der Kommission und die Vorlage, welche wir
ihnen danken, sind der Anlaß und die Basis für unsere Erörterungen zur
Aufklärung des Volkes. Lassen wir dem Volke die Zeit, dieses große Ma-
terial zu prüfen, bei sich zu verarbeiten, dann wollen wir uns wieder spre-
chen nach den nächsten Wahlen. Das ist für alle Teile gut und richtig,
glauben Sie es mir. (Lebhafter Beifall im Zentrum. Fischen rechts. Wie-
derholter Beifall im Zentrum.)
31. März. Kaiser Wilhelm trifft in Posen ein, um die dort
von neuem eingetretenen Ueberschwemmungen zu besichtigen.
1. April. (Staatssekretär v. Stephan) greift im Herren-
hause die Arbeitsmethode des Abg.-Hauses an. Infolge des unnützen
Zeitaufwandes sei der Etat zu spät an das Herrenhaus gelangt.
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