Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

248 Italien. (Februar 14.) 
„Ehrenwerte Kollegen! Indem die Kammer durch die Abstimmung 
des 31. Januar das Gesetz ablehnte, welches die vorläufige Wirksamkeit 
einiger durch die vorige Verwaltung geforderter Steuererhöhung aussprach, 
hat sie der neuen Verwaltung ein Programm vorgeschrieben, welches zu 
beobachten unsere Pflicht ist. Wir machen Ihre Fahne: die der Ersparnisse, 
zur unsrigen; mit ihr und für sie werden wir kämpfen, werden wir siegen 
oder fallen. (Beifall.) Inzwischen übernehmen wir vor Ihnen, vor dem 
Lande die wohlüberlegte Verpflichtung, das Gleichgewicht zwischen den effek- 
tiven Ausgaben und Einnahmen ohne Mehrbelastung der Steuerzahler her- 
zustellen. Mit vorsichtiger, aber entschlossener Hand werden wir alle Etats 
beschneiden, die des Krieges und der Marine inbegriffen, um überall und 
betreffs aller die größte Sparsamkeit anzuwenden, und wir werden auch die 
Ausgaben für Afrika einschränken. In kurzer Frist werden wir die passen- 
den Veränderungen am Etat 1891/92 vorlegen. Wir werden ferner einige 
Gesetze einbringen, von denen die einen unverzügliche, die anderen sehr 
baldige Wirkung auf Erleichterung des Staatsschatzes ausüben werden. 
Dringende Maßnahmen sind nötig zur Ordnung des Notenumlaufes. Wir 
glauben jedoch, daß unter den jetzigen Verhältnissen die radikalen Aenderungen 
in unserem Banksysteme Veranlassung und Anreiz zu neuen Störungen sein 
könnten, die wir bedachterweise vermeiden wollen. Demgemäß werden wir 
uns auf Vorlegung derjenigen Maßnahmen beschränken, welche geeignet sind, 
eine ganz sichere Hebung der Kreditverhältnisse herbeizuführen. Unter den 
sozialen Gesetzen, welche uns die dringendsten zu sein scheinen, werden wir 
die bestvorbereiteten einbringen, und zwar mit Schleunigkeit, da wir aner- 
kennen, daß es Akte der sozialen Gerechtigkeit gibt, welche nicht länger auf- 
geschoben werden können und dürfen durch eine Regierung, welcher die ge- 
sunden Interessen und rechtmäßigen Bedürfnisse der arbeitenden Klassen am 
Herzen liegen. (Beifall.) Während der jetzigen Tagung werden wir Ihnen 
keine gesetzgeberischen Reformen vorlegen, welche beachtenswerte Interessen 
stören, ohne unmittelbaren Nutzen für den Staatshaushalt zu haben. Wir 
werden uns für jetzt der Vorlegung politischer Gesetze enthalten, in der Er- 
wägung, daß das Land vor allem nach wirtschaftlicher Belebung verlangt. 
(Lebhafte Zustimmung.) Auch für die Aupfhebung der Listenwahl, welche 
wir anstreben, werden wir jetzt keinerlei Initiative ergreifen, sondern die 
Prüfung der durch das vorige Kabinett eingesetzten Kommission oder die 
Vorschläge des Ausschusses für Vorberatung des parlamentarischen Antrages 
abwarten. Aber folgendes fühlen wir uns verpflichtet zu erklären: welche 
auch Ihre Beschlüsse sein mögen, so zieht unseres Erachtens eine Aenderung 
der Wahlart nicht mit unerbittlicher Notwendigkeit die sofortige Neuberufung 
der Wähler nach sich. In der auswärtigen Politik werden wir, auch hier 
in Eintracht mit dem Lande, seiner Stimme gehorchen, welche wir bei den 
letzten Wahlen laut und klar vernommen haben. Wir werden die Würde 
des Landes vor Verletzung bewahren und seine wahren Interessen mit Eifer 
vertreten. Unsere Politik wird schlicht, freimütig, ohne Hintergedanken sein, 
wie es einem Lande geziemt, welches wirklich den Frieden will. Zum Glück 
ist unser Programm uns mit den größeren europäischen Staaten gemeinsam. 
Dieser Gedanke, dieser Wunsch, dieses Bedürfnis des Friedens hat jene 
Mächte zur Vereinigung gebracht, welche sich absolute Sicherheit, Europa 
eine dauernde Ruhe verschaffen wollten. Unsern Bündnissen werden wir 
feste und zuverlässige Treue bewahren. (Beifall.) Durch unsere Haltung 
werden wir allen zeigen, daß wir keine Angriffsabsichten haben. Und da 
bezüglich unseres Verhältnisses zu Frankreich Zweifel, Argwohn, Mißtrauen 
erregt worden ist, so werden wir unser Bemühen darauf richten, jede falsche 
Meinung zu widerlegen. Durch unsere wohlerwogene und leidenschaftslose
	        
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