Das Deutsche Reich nad seine einzelnen Glieder. (Januar 10.—11.) 5
10. Januar. (Reichstag.) Umsturzvorlage. Rede des
Kriegsministers und Bennigsens.
Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.) für die Vorlage. Auf einige
Bemerkungen des Abg. Munckel (fr. Vp.), daß der § 112, der die Ver-
leitung von Soldaten zur Indisziplin bestrafen will, überflüssig sei, er-
widert der Kriegsminister Bronsart v. Schellendorft Bei den zuneh-
menden Versuchen, die sozialistische Agitation in die Kaserne zu tragen,
seien schärfere Strafbestimmungen unentbehrlich. Die Führer der sozial-
demokratischen Partei gäben ihren Genossen zwar öffentlich den Rat, sich
im Dienste nichts zu schulden kommen zu lassen, aber die aufreizenden
sozialdemokratischen Lehren seien nicht ohne Wirkung geblieben. Jetzt würden
häufiger als früher Posten angegriffen und merkwürdigerweise Posten an
entlegenen Stellen, an einem Pulvermagazin, vor einem Waffenmagazin
oder einem Munitionslager. Die Mehrzahl der Rekruten, die zur Truppe
einrückt, kommt unverdorben, gottesfürchtig und königstreu zur Fahne, die
Leute find gegen Ansteckungsstoffe jeder Art immun und bleiben es auch.
Wir haben aber auch mit Rekruten zu rechnen, die von Jugend auf ver-
wahrlost sind, die in Werkstätten, in Fabriken und auf Arbeitsplätzen eine
Masse verworrenes Zeug gehört und in sich aufgenommen haben. Die
wollen wir zu guten Soldaten machen, und das gelingt uns auch zum
Teil. Wenn sich aber permanent von außen ein Gegengewicht gegen die
erziehliche Einwirkung des militärischen Dienstes geltend macht, was soll
denn werden aus den Leuten! Es handelt sich nicht bloß darum, die Dis-
ziplin aufrecht zu erhalten; es handelt sich bei uns auch darum, daß wir
sorgen für das Wohl und Wehe der uns anvertrauten Mannschaft — und
nun frage ich Sie, was ist denn das Schicksal eines bethörten eidbrüchigen
Soldaten? Im Frieden erleidet er schwere Strafe und die Anstifter gehen
fast immer straflos aus, denen wird kein Haar gekrümmt. Im Kriege oder
im Kriegszustande, und den können wir auf verschiedene Arten haben, stellen
wir ihn auf den Sandhaufen und lassen ihn schimpflich enden durch das
Blei seiner Kameraden, so erfordert es Recht und Gesetz. — Recht und
Gesetz fordern das, und mit den Herren Anstiftern machen wir dann aller-
dings auch wenig Federlesens. Deshalb erbitten wir von Ihnen, meine
Herren, die Mittel, die es uns möglich machen, daß wir darauf verzichten
können, derartige Exempel statuieren zu müssen.
Abg. v. Bennigsen (ul.) für die Vorlage, wenn er auch die weit-
gehenden Ansichten des Abg. v. Stumm nicht teilt; er will das allgemeine
Wahlrecht erhalten und betont gegen den Abg. Gröber den Satz der preuß.
Verfassung: „Die Wissenschaft und ihre Lehren sind frei“".
10. Januar. (Berlin.) An Stelle des Generaloberst
v. Pape, der in den Ruhestand tritt, ernennt der Kaiser den
Generaloberst v. Los (vgl. Jahrg. 1893 S. 201) zum Oberbefehls-
haber in den Marken und Gouverneur von Berlin.
11. Januar. (Reichstag.) Umsturzvorlage. Reden Wols-
legiers und Köllers.
Abg. v. Wolslegier (Pole): Das Gesetz sei in der vorliegenden
Fassung unannehmbar. In den polnischen Provinzen existierten auch An-
fänge der Sozialdemokratie, diese Verirrungen hätten aber ihren Mittel-
punkt in der deutschen Arbeiterbevölkerung. Die sozialdemokratischen
Ideen wurzelten in der Unzufriedenheit, darum müsse der Staat in den