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Deutschland (ohne Preußen).
darin entgegen, daß wir die Zweige der einzelstaatlichen Berechtigung, die
wir zu centralisiren zugeben würden, auch ganz und gänzlich einer einheit-
lichen Bundesgewalt untergeordnet zu sehen wünschen, dagegen die Wahrung
unserer Staatsinteressen nicht sowohl in Theilnahme an der Regierung als
in verfassungsmäßig geordneter Vertretung von Regierungen und Be-
völkerungen erblicken werden. Habe ich damit die Ziele bezeichnet, denen
wir zustreben werden, so haben Sie ein Recht, nach den Bedingungen zu
fragen, unter denen wir in die Bildung einer solchen obersten Bundes-
behörde und in Veränderung der Bundesverfassung willigen würden. Ich
will Ihnen näher die Grenzen bezeichnen, innerhalb der unseres Ermessens
Vorschläge sich bewegen müßten, die unsere Zustimmung gewinnen sollen
und gleichsam die Marksteine des für uns Möglichen bilden:
1) Es muß zunächst das Opfer, das wir bringen, der Allgemeinheit
gebracht sein, nicht dem Einzelinteresse eines besondern Staates, sondern
der Verwirklichung einer nationalen Politik, und der Begründung einer
dauernden Stätte für Pflege des deutschen Gedankens.
2) Die Gewalt, der wir uns unterwerfen, muß im Namen aller Ver-
bündeten geübt werden, und alle Staaten und alle Kammern müssen
sich der Competenz derselben in den Zweigen unterwerfen, welche der Ver-
fügung der Centralregierung zugewiesen werden.
3) Diese Centralregierung muß sich der Controle einer, die deutschen
Regierungen, wie die Bevölkerungen gleichmäßig umfassenden Bertretung,
ausgeübt in verfassungsmäßig geordneter Weise, unterwerfen. Bisher
wird die Bertretung der Interessen der Einzelländer in der Bundesbehörde
durch das Geltendmachen der höchsten Souveränität in der Weise geübt,
daß wir den großh. Gesandten nach bestem Wissen und Gewissen zur Ab-
stimmung bei Beschlüssen instruiren, welche über diese Interessen entscheiden.
Diese Vertretung kann sehr wohl einen andern Ausdruck finden, und ich
wüßte nicht, wie es angemessener geschehen könnte, als daß das Interesse
sich selbst vertritt, in der doppelten Gliederung von Volk und Regierung.
Indem das Land gleichsam seine eigene Vertretung übernimmt, wird es
auch stets gewillt sein, sie mit andern Staaten und Stämmen gemeinsam
zu üben, die wie wir, diese höchste Gewalt über uns anerkennen.
„Damit sind die wenigen großen Grundsätze ausgesprochen, die gleichsam
die constitutionelle Grenze bezeichnen, innerhalb deren sich die ernsten Re-
formvorschläge unseres Ermessens halten müssen. Die deutsche Frage ist
allerdings nicht eine constitutionelle allein, sondern vorherrschend eine politische.
„. . . Der schwierigste Punkt ist das Vorhandensein zweier Großmächte
im Bunde und das Verhältuiß derselben zu einander. Die Frage, wie
deren Interessen im Fall einer Bundesreform zu wahren und wie das In-
teresse der deutschen Nation bei Forterhaltung dieser sich oft paralisirenden
zwei Willen zur Geltung kommen solle, ist bekanntlich zum Ausgangspunkt
einer tiefgehenden Spaltung der Parteien in unserem Vaterlande geworden.
Wir haben zwei Staaten vor uns, welche beide nicht nur vielfach ver-
schiedene Interessen, sondern eine bestimmt gegebene, historisch und tradi-
tionell begründete, politische Richtung innehalten, die es als ein Räthsel
erscheinen lassen, wie dieselben entweder einträchtig zusammen deutsches In-
teresse pflegen oder in Deutschland nicht den Gegensatz, der in ihnen lebt,
fortsetzen sollten. Wir gehen davon aus, daß eine Verständigung der beiden
Großmächte über ihre Stellung zur Bundesreform-Frage und zur Reorga-
nisation des politischen Systems in Deutschland nicht unmöglich ist, und je
weniger wir dazu beitragen können, dieselbe herbeizuführen, um so mehr
können wir den beiden Großstaaten selbst und den drängenden Ereignissen
überlassen, diese Verständigung herbeizuführen. Einen gewissen Einfluß
geltend zu machen ist auch uns vorbehalten, d. h. es wird uns einmal in
unserer Eigenschaft als Mitglieder des deutschen Bundes obliegen, uns zu