40 Des Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 17.)
glauben durch Repressionen. Solche Richtungen heilt man nicht mit So-
linger Klingen, sondern nur mit solonischer Weisheit. (Heiterkeit! Rufe: Au!!
Ich halte es für unrecht, daß sich die Sozioldemokratie noch immer die
Zeremonie erlaubt, gegen den Etat zu stimmen. Die Sozialdemokratie muß
durch den Revisionismus hindurch, um sich wieder in der bürgerlichen
Gesellschaft zurechtzufinden. Die Hoffnung der Gewaltpolitiker, daß die Sozial-
demokratie ausspannen oder Buße tun werde, ist irrig, das gibt es nicht:
Die Sozialdemokratie ist eine Entwicklung, eine phantastische Entwicklung
mit einem phantastischen Programm. Es ist eine Ausgeburt phantastischer
Bureaukratie, den Staat als Generalunternehmer aller Unternehmungen zu
denken. Aber die Rückentwicklung in die bürgerliche Gesellschaft, die statt-
finden wird und muß, wird eine sehr langwierige sein. Es ist die Auf-
gabe, der bürgerlichen Parteien, die Sozialdemokratie von der Unerfüllbar-
keit ihrer Forderungen zu überzeugen; es nützt nichts, daß man immer
auf sie loshämmert, da macht man aus Eisen nur Stahl. Die liberalen
Parteien scheinen ganz aus taktischen Gründen eine gewisse Fühlung mit
der Sozialdemokratie genommen zu haben: es hieß: „Die Front gegen
rechts!" Damit hat die radikale Partei Oberwasser bekommen, denn sie
überwindet Immer die weniger radikale. Die Liberalen verlieren damit
den Boden, auf dem sie bisher segensreich im Interesse des Reiches gewirkt
haben. Nicht rechts ist ihr gefährlicherer Gegner, ihr gefährlichster Gegner
sitzt links. Der liberale Gedanke in Deutichland hat an Schwerkraft ver-
loren, weil sie an liberalen Forderungen auf dem politischen Markte über-
boten sind. (Große Unruhe 1.)
17. Februar. Kiel.) Das Linienschiff „Ersatz Odin“ wird
im Beisein des Kaisers von Prinzessin Therese von Bayern nach
einer Rede des Prinzen Ludwig von Bayern auf den Namen „Prinz-
regent Luitpold-“ getauft.
Bei dem Festmahl hält der Kaiser eine Rede vom „Mosaikbild
des Reiches“: Wer in seinem Leben sich mit Kunst beschäftig hat, kennt
das herrliche Material der Mosaik und lernt die wunderbaren Bilder, welche
aus ihr geformt werden, schätzen und bewundern. Von ferne betrachtet,
sieht er ein farbenprächtiges Gesamtbild vor sich, tritt er heran, so wird
er gewahr, daß das Kunstwerk aus lauter einzelnen Steinchen zusammen-
gesetzt ist, welche von verschiedener Form und Farbe individuell in sich
gesteinige kleine Gebilde sind. So ist es mit unserem Reich, von ferne
als mächtiges Ganzes wirkend, ist es zusammengesetzt aus einzelnen Stämmen,
stolz auf ihre Eigenart und treu anhängend ihren angestammen Fürsten-
häusern deren buntfarbigen Kähnlein sie Jahrhunderte lang gefolgt sind.
Festgeschart sind alle zum Schutze des deutschen Reichspaniers.
17. Februar. (Reichstag.) Fortsetzung der ersten Beratung
des Etats.
Abg. Ledebour 'Sd.): Der Herr Reichskanzler war am ersten Tage
der Staatsdebatte hier nicht anwesend, am zweiten Tage huschte er wie ein
trübseliges Irrlicht auf fünf Minuten durch den Saal, am dritten Tage
hielt er jene Buttpredigt, und heute ist er wieder nicht da, trotzdem er
genau weiß, daß auf die heutigen Angriffe, die er gegen meine Partei
geschleudert hat, sofort eine Antwort erfolgen wird. Unsere Forderungen an
die Finanverwaltung gehen erheblich über den Grundatz: „Keine Ausgaben
ohne Deckung“ hinaus. Wir verlangen Gesundung der Finanzen durch
ganz erhebliche Reduzierung der Militär-- und Flolttenausgaben; wir for-