Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

216 GroßbrifannienSept. 16. 
und Gewalt. Mit erhobener Stimme schließt L. G.: Wir werden durch- 
kämpfen, bis wir erreicht haben, was wir wollen. 
16. Sept. Balfour zur österr. Friedensnote. 
Auf einem Frühstück, das das k. Kolonialinstitut den Vertretern der 
Presse des britischen Reiches gibt, äußert der Staatssekretär des Ausw. 
Amts Balfour mit Bezug auf die österr. Friedensnote (s. S. 54 ff.) 
u. a.: Man muß bei meinen Ausführungen bedenken, daß sie innerhalb zwei 
Stunden, nachdem ich die Note aus der Presse kennen gelernt hatte, nieder- 
geschrieben sind, und daß ich keine Gelegenheit hatte, mit meinen Kollegen 
zu beraten. Was ich sage, muß daher ausschließlich als persönliche Aeuße- 
rung eines Mitgliedes der Regierung angesehen werden. Ich will gleich 
ausführen, daß ich mit der österr. Note in der Meinung übereinstimme, 
daß die ganze Zivilisation auf dem Spiele steht. Was schlägt der Feind 
vor, um den Zustand zu beenden? Nach meiner Ansicht folgendes: Keinen 
Waffenstillstand, sondern Anknüpfung von Besprechungen durch nichtverant- 
wortliche Personen. Ich verkenne nicht, daß eine solche Besprechung unter 
gewissen Umständen ein kostbares Mittel sein könnte, um zur Uebereinstim- 
mung zu gelangen. Aber besteht auch nur die geringste Aussicht, daß unter 
den gegenwärtigen Verhältnissen nutzbringende Besprechungen angebahnt 
werden können? Ich kann das nicht einsehen, wie sehr ich persönlich diese 
Vorschläge günstig aufzunehmen wünsche. Mährend der ganzen vier Jahre 
haben die Deutschen, weder durch ihre Regierung, noch durch irgendein 
verantwortliches Mitglied der Regierung Vorschläge gemacht, die man als 
ein Friedensangebot bezeichnen kann. Soviel ich mich erinnere, kam niemals 
ein konkreter Vorschlag über die Bedingungen, unter denen die Deutschen 
Frieden schließen wollten. Stellen Sie sich die Besprechungen einmal vor, 
wie die Oesterreicher sie wünschen. Stellen Sie sich ein halbes Dutzend 
Diplomaten in einem Zimmer beieinander vor. Ihre Gespräche würden 
darauf gerichtet sein, sich nicht bloßzustellen. Sie sind amtlich nicht ver- 
antwortlich. Stellen Sie sich vor, wie sie von Tag zu Tag das wechselnde 
Bild auf dem Schlachtfelde ausehen werden. Es gibt noch einen wichtigeren 
Einwand gegen diese Besprechung. In einigen kleinen Fragen (die mit 
dem Frieden in Zusammenhang stehen) muß man seinen Trotz und seine 
Eigenliebe bezwingen. Es gibt sehr viele Fragen, über die ich Besprech- 
ungen für unschätzbar halte. Aber nähern wir uns dem Stadium, wo diese 
Fragen entschieden werden können? Ich fürchte, nein. Bevor wir in dieses 
Stadium eintreten, sind noch größere Fragen zu entscheiden, und über diese 
größeren Fragen ist kein Irrtum möglich: die abweichenden Haltungen der 
Regierungen sind nicht mißzuverstehen. Ihre Stellung ist mit völliger Deut- 
lichkeit mitgeteilt worden. Was nützt es dann, in unverantwortliche Be- 
sprechungen einzutreten? Lassen Sie mich das an der gegenwärtigen Lage- 
erläntern. Bevor wir vom österreichischen Anerbieten über Besprechungen 
nichtverantwortlicher Personen erfuhren, lasen wir die amtliche Erklärung. 
des deutschen Vizekanzlers (s. Tl. 1 S. 281 ff.). Er hielt eine lange Rede, in 
der er sich vollkommen deutlich und durchaus unmißverständlich über ver- 
schiedene wichtige Fragen äußerte. Kannten die amtlichen Stellen in Wien. 
und die Verfasser dieser Note die Rede des Vizekanzlers, oder kannten sie 
sie nicht? Er ist Vizekanzler zum Teil deswegen, weil er ein Vertreter 
des deutschen Liberalismus ist, und besonders, weil man glaubt, daß er die- 
Gunst der Reichstagsmehrheit besitzt. Deswegen spricht er nicht für die Ex- 
tremisten, sondern für den liberalen Flügel der Regierung. Er ist voll- 
kommen deutlich; nehmen Sie z. B. Belgien. Er gebrauchte merkwürdige 
Worte, aber ich nehme an, daß er sagen wollte, Deutschland fühle, daß es.
	        
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