Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Niederlande. (Nov. 10.—17.) 375 
Der „Nordd. Allg. Ztg.“ wird aus dem Haag gemeldet: Laut einer 
Moskauer drahtlosen Meldung hat, nachdem die holländ. Regierung 
sich geweigert hat, einen Gesandten der Sowjetregierung zu empfangen, der 
holländ. Gesandte erklärt, daß er in Zukunft keine gute Arbeit in Rußland 
mehr leisten könne und deshalb die russ. Regierung gebeten habe, ihm einen 
Zug zur Verfügung zu stellen. Die Sowjetregierung erblickt darin Hollands 
Absicht, mit der Volksregierung in Rußland zu brechen, und deutet dies 
als ein Anzeichen einer allgemeinen Verschwörung gegen die Revolution 
von seiten der Entente, die jetzt versucht, die Neutralen für diese gegen- 
revolutionäre Offensive zu gewinnen. 
10. Nov. Kaiser Wilhelm tritt auf holländ. Gebiet über. (Näh. 
s. Tl. 1 S. 449.) 
Am 12. folgt der deutsche Kronprinz (s. Tl. 1 S. 474), am 28. die 
Kaiserin (s. Tl. 1 S. 526). 
10. Nov. Der Ministerrat beschließt die Demobilisation der 
holländ. Armee. 
12. Nov. Ausbruch revolutionärer Unruhen. 
Unter der Einwirkung der Revolutionsbewegung in Deutschland kommt 
es in verschiedenen Städten, insbesondere in Amsterdam, Rotterdam und 
dem Haag, im Anschluß an Versammlungen der Sozialisten und revolutio- 
nären Sozialisten zu republikanischen Kundgebungen, die sich an den 
folgenden Tagen wiederholen. Die Regierung trifft weitgehende militärische 
Vorbereitungen. In den breiteren Volkskreisen finden diese Kundgebungen 
kein Echo. Die Regierung erklärt sich zur Durchführung der notwendigen 
inneren Reformen bereit. Am 13. erklärt der Minister des Aeußern 
in der Zweiten Kammer, daß die Regierung auf dem gesetzlichen Wege 
fortzuarbeiten wünsche. Wenn eine der Parteien einen ungesetzlichen Weg 
einzuschlagen versuchte, würde sie finden, daß die Regierung sich ihr in den 
Weg stellen werde. Die Regierung regiere auf Wunsch der Mehrheit des 
holländischen Volkes, und sie werde sich davon nicht abbringen lassen, auch 
nicht durch Gewalt. Die Regierung wiederhole ihren Wunsch, daß sie nur 
dann die Geschäfte weiterführen wolle, wenn sie sich auf das Vertrauen 
des ganzen Volkes stützen könne. Es wäre ihr deshald angenehm, wenn 
der Antrag des Abg. Marchant auf Einführung des allgemeinen Frauen- 
wahlrechts so rasch wie möglich gebilligt würde, damit das Volk in seiner 
Gesamtheit sich darüber aussprechen könne, wie es regiert zu werden wünsche. 
Am 20. erläßt die Königin eine Proklamation an das nieder- 
ländische Volk, in der es nach einem Dank für Heer und Flotte heißt: Unter 
dem Eindruck der gewaltigen Ereignisse, die sich bei den Völkern Europas 
vollzogen, wurde auch in Holland für kurze Zeit die staatliche Ordnung 
bedroht. Die Antwort, die von der großen Mehrheit meines Volkes darauf 
gegeben wurde, hat einen sehr tiefen Eindruck auf mich gemacht, und ich 
danke Euch von ganzem Herzen für die Treue, die ihr mir bewiesen habt. 
Von Reaktion darf künftig nicht mehr die Rede sein. Es ist mein Wunsch, 
die beabsichtigten Reformen durchzuführen, und zwar mit der Schnelligkeit, 
die dem Pulsschlag unserer Zeit geziemt. Es ist mein Wunsch, mit dem 
Volksgeist immer in Berührung zu bleiben und in Uebereinstimmung mit 
den Vertretern des Volkes zu regieren. 
16.—17. Nov. (Rotterdam.) Arbeiterkongreß. 
Der Kongreß ist von der soz. Arbeiterpartei und den niederländ. Ge- 
werkschaftsverbänden einberufen worden. Die dem Kongreß vorgelegte Ent-
	        
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