Full text: Die Zuständigkeit des deutschen Bundesrates für Erledigung von Verfassungs- und Thronfolgestreitigkeiten.

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zu veranlassen.1%) Die aus Art. 54 der Wiener Schlussakte 
folgende Befugnis ist auf den Bundesrat nicht übertragen 
worden. Der wiederholte Beschluss des Reichstages auf Auf- 
nahme eines Artikels in die Reichsverfassung: „dass in jedem 
Bundesstaale eine aus Wahlen der Bevölkerung hervorgehende 
Vertretung bestehen müsse, deren Zustimmung bei jedem 
Landesgesetze und bei der Feststellung des Staatshaushaltes 
erforderlich sei“, hat die Zustimmung des Bundesrates bis 
heute nicht gefunden.!!) 
Der Begriff der Verfassungsstreitigkeit erfährt noch eine 
weitere Begrenzung. Haenel1?) bemerkt mit Recht, dass die 
Verletzung eines aus der Verfassung fliessenden subjektiven 
Rechtes durch Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung 
eines Verfassungsgesetzes eine Verfassungsstreitigkeit nicht be- 
gründe. Natürlich erfahren die Verletzungen subjektiver ver- 
fassungsmässiger Rechte gesetzlichen Schutz. Streitigkeiten 
dieser Art gehören aber zur Zuständigkeit der ordentlichen 
Gerichte. Als Verfassungsstreitigkeiten sind sie nur dann zu 
charakterisieren, wenn sie die objektive Geltung der Verfassung 
oder einzelner Verfassungsbestimmungen berühren. In diesem 
Falle bleibt es gleichgültig, ob als Verletzter ein Öffentliches 
Organ oder eine Privatperson auftritt. Zu Streitigkeiten der 
erwähnten Art zählt der Fall, dass in einem Staate die Ver- 
fassung oder ein Satz derselben ausser Kraft gesetzt wird, so 
dass also, obwohl die Verfassung noch rechtsgültig besteht, 
eine Anwendung ihrer Normen nicht mehr stattfindet oder 
gar die Anwendung ihr widersprechender Rechtsnormen erfolgt. 
Bei der Interpretation des Art. 76 Abs. 2 der Reichsver- 
fassung ist wiederholt der Bundesbeschluss vom 30. Oktober 
1834 herangezogen worden, weil er das Vorbild für die Be- 
stimmung jenes Artikels enthält. Dieser Beschluss nun spricht 
  
10) Die Frage, ob eine derartige Berechtigung besteht, könnte akut 
werden, wenn in einem Bundesstaate die bestehende Verfassung aufgehoben 
oder die bestehende konstitutionelle Verfassung in eine ständische umge- 
wandelt würde. 
11) Vgl. v. Seydel, Kommentar $. 410. 
12), Haenel, Deutsches Staatsrecht I S. 567.
	        
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