Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

128 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
nach Abschluß der drei Rheinfeldzüge sein Campagne-Journal heraus und 
schilderte bescheiden doch mit herzhaftem Selbstgefühl, wie oft er die Feinde 
„geschmissen“ habe; die Offiziere zogen aus dem Kampfe heim mit dem 
Bewußtsein rühmlicher Pflichterfüllung. Und doch führten diese drei Feld- 
züge, die den preußischen Fahnen so viele stattliche Einzel-Erfolge brachten, 
zu einem schmachvollen Frieden. Der Charakter der Kriegführung wird 
überall und zu allermeist in Coalitionskriegen bedingt durch die Ziele der 
Staatskunst, welcher sie dient; eine Politik, die sich vor dem Siege fürchtet, 
kann große Feldherren nicht ertragen. Die schwankende Rathlosigkeit der 
preußischen Politik fand in der Willensschwäche, in dem bedachtsamen 
Zaudern des Herzogs von Braunschweig ihren getreuen Ausdruck. König 
Friedrich war in den letzten Zeiten des siebenjährigen Krieges durch die 
erdrückende Uebermacht der Feinde zu einer Behutsamkeit gezwungen 
worden, die seinen Neigungen und Grundsätzen widersprach. Was ihm 
allein die Noth auferlegte, erschien den Generalen der Friedensjahre als 
die Blüthe militärischer Weisheit. Sie hielten für die Aufgabe des Feld- 
herrn, die Truppen in einen weiten Cordon auseinanderzuziehen, jeden 
irgend bedrohten Punkt zu decken, den Berg durch das Bataillon und 
das Bataillon durch den Berg zu sichern; jener Geist der Initiative, den 
Friedrich so oft für den Nerv des Kriegshandwerks erklärt hatte, ging 
dem friedensfrohen Geschlechte verloren. Die Künstelei dieser bedacht- 
samen Kriegsmethode entsprach zugleich dem Temperament des Braun- 
schweigers und seinen politischen Ansichten; denn er allein unter den 
Generalen des verbündeten Heeres fürchtete die dämonischen Kräfte der 
Revolution, er scheute das Wagniß der offenen Feldschlacht. 
Nach altösterreichischem Brauche kam von den zugesagten kaiserlichen 
Hilfsvölkern nur der kleinste Theil zur Stelle. Der Oberfeldherr eroberte 
zunächst die Festungen der Maaslinie und rückte dann, widerwillig dem 
Befehle des Königs gehorchend, westwärts gegen Paris vor, obgleich sein 
Heer viel zu schwach war um die Eroberung der feindlichen Hauptstadt 
versuchen zu können. Schon am 20. September fiel die Entscheidung des 
Feldzugs. Der Herzog wagte nicht, die Franzosen auf den Höhen von 
Valmy anzugreifen, sondern gab den sicheren Sieg aus der Hand und 
räumte darauf den französischen Boden vor den anrückenden Verstärkungen 
des Feindes. Mit dem Seherblick des Dichters durchschaute Goethe die 
Folgen dieser großen Wendung; er sagte am Wachtfeuer zu den preußi- 
schen Offizieren: „Am heutigen Tage beginnt eine neue Epoche der Welt- 
geschichte.“ Inzwischen war die Krone der Capetinger durch den Aufstand 
des zehnten August zerbrochen worden; aus dem gräßlichen Blutbade der 
Septembermorde stieg die französische Republik empor, und triumphirend 
konnten die Gewalthaber des neuen Frankreichs dem Convente als Braut- 
gabe die große Kunde bringen, daß die fridericianische Armee den Heer- 
schaaren der Freiheit unrühmlich den Rücken gekehrt habe.
	        
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