Feldzug von 1794. 135
Zur selben Zeit erprobte der König die üblen Folgen seiner Abhängig—
keit von den Seemächten. England, erbittert über die selbständige Haltung
der preußischen Generale, verweigerte ihm die Zahlung der Hilfsgelder,
machte ihm die Fortsetzung des Kampfes unmöglich. So ging das beste
Heer der Coalition durch Englands eigensinnigen Hochmuth dem euro—
päischen Kriege verloren. Gegen Weihnachten drang dann Pichegru über
das Eis der großen Ströme in Holland ein, die Flotte des weiland see—
beherrschenden Staates strich ihre Flagge vor einer französischen Reiter—
schaar. Die batavische Republik ward ausgerufen, der große Freistaat
des Westens begann sich mit einem Walle von Tochterrepubliken zu um—
geben. Auch der dritte rheinische Feldzug war vergeblich geführt, und für
den nächsten Sommer mußten die westphälischen Lande einen Angriff der
Franzosen von Holland her erwarten. Preußen stand völlig vereinsamt;
man vernahm bald, daß der Bruch zwischen Preußen und England in
Petersburg wie in Wien mit lauter Schadenfreude begrüßt wurde. Im
preußischen Volke aber ahnte Niemand, wie tief die Macht des Staates
durch eine Politik der Halbheit und Unklarheit geschädigt war. Die Haupt—
stadt jubelte über die drei Siege von Kaiserslautern; ein Rausch patriotischen
Stolzes und royalistischer Hingebung erfüllte die Gemüther. Damals
zuerst, in den Jahren 93 und 94, erklang zu Berlin das „Heil dir im
Siegerkranz“, der neue preußische Text zu der alten Händel'schen Melodie.
Das prächtige Siegesdenkmal der alten Monarchie, das Brandenburger
Thor ward eingeweiht; frohlockend drängte sich das Volk herbei, als die
liebliche Braut des jungen Kronprinzen durch dies Triumphthor einzog.
Preußische Schriftsteller verglichen in ehrlicher Verblendung das ungetrübte
Glück ihrer treuen und siegreichen Nation mit der Zerrüttung und der
Ohnmacht des Staates der gallischen Königsmörder.
Inzwischen wurde die wankende Eintracht der Coalition gänzlich zerstört
durch die polnischen Händel. In der Osterwoche 1794 brach zu Warschau
ein blutiger Aufstand aus, die Russen wurden aus dem Lande vertrieben.
Von Paris her unterstützt griff der Aufruhr unaufhaltsam um sich, bis
tief in das preußische Polen. Auch diesmal, im letzten Verzweiflungs-
kampfe, ließ der polnische Adel nicht von den alten Sünden der Zwie-
tracht und Zuchtlosigkeit. Immerhin zeigte die unselige Nation mehr
Widerstandskraft als die Theilungsmächte ihr zugetraut, und ein gnädiges
Schicksal schenkte ihr das Glück sich noch einmal das Herz zu erheben an
dem Anblick eines wahrhaften Helden. Kosciuszko besaß weder das Genie
des großen Feldherrn noch den Weitblick des Staatsmannes, doch seine
reine Seele barg neben allen ritterlichen Tugenden seines Volkes eine
unerschütterliche Rechtschaffenheit, eine treue Hingebung an das Vaterland,
wie sie Polen seit Jahrhunderten nicht mehr kannte; gleich einem Schutz-
engel erschien Vater Thaddäus den polnischen Bauern, wenn der schwer-
müthige Held im weißen Bauernflausrock auf seinem Klepper durch die