Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Dritte Theilung Polens. 143 
Erstaunlich nun, wie man in Norddeutschland sich gar nichts träumen 
ließ von der ungeheuren Einbuße, welche Preußens Ruf und Ansehen 
durch den kleinmüthigen Friedensschluß erlitten, von der völligen Ver— 
wüstung jeder Pietät und jedes Rechtsgefühls, die über Deutschland herein— 
brechen mußte seit der einzige lebendige deutsche Staat das Reich verlassen 
hatte. Alle Welt im Norden rief den weisen Friedensstiftern Beifall zu. 
Handel und Wandel blühten; Preußens Rhederei und Getreideausfuhr 
genossen der Vortheile der neutralen Flagge, nahmen durch den allge— 
meinen Seekrieg einen ungeahnten Aufschwung. In ungestörter Sicher— 
heit entfalteten sich alle Kräfte der neuen Literatur; eben jetzt sah Weimar 
seine goldenen Tage. Halb verächtlich, halb gleichgiltig schaute der bildungs- 
stolze Sachse aus der Fülle geistigen Lebens, die ihn umfing, hernieder 
auf das wüste Kriegsgetümmel jenseits der Demarcationslinie. Der alte 
Kant wurde durch die frohe Nachricht aus Basel angeregt seine Abhand- 
lung vom ewigen Frieden niederzuschreiben und träumte von dem nahen 
Untergange der Barbarei des Krieges — zur selben Stunde, da ein neues 
eisernes Zeitalter über das aufgeklärte Europa heraufzog. Auch der König, 
der so lange dem Frieden widerstrebt, beruhigte sich bald beim Anblick der 
allgemeinen Zufriedenheit, er lernte aus der Noth eine Tugend zu machen, 
schrieb voll Selbstgefühls an Katharina: er glaube nur dem Beispiele seines 
Vorgängers zu folgen, der ebenfalls zuerst die Grenzen seiner Staaten er- 
weitert und sich's dann zum Systeme gemacht habe das neu Erworbene 
im Frieden zu regieren und zu behaupten. 
In der That hatte außer Johann Sigismund und Friedrich II. noch 
kein Hohenzoller der Monarchie eine so unverhältnißmäßige Vergrößerung 
gebracht; das Gebiet wuchs in den zehn Jahren dieser Regierung von 
3500 auf nahezu 5600 Geviertmeilen. Mit den fränkischen Markgraf- 
schaften trat wieder ein gesegnetes Land alter Cultur zu den dürftigen 
überelbischen Coloniallanden hinzu. Unter Hardenberg's Leitung bildete 
sich eine fränkische Schule preußischer Beamten; Alexander Humboldt war 
für den Bergbau im Fichtelgebirge thätig, Altenstein, Kircheisen, Nagler 
lernten dort die strengen Grundsätze der altpreußischen Verwaltung den 
behäbigen Lebensverhältnissen freier Bauern und wohlhabender Kleinbürger 
anzupassen. Diese Franken und die philosophischen Ostpreußen, welche, wie 
der junge Schön, in Königsberg zu Kant's Füßen gesessen und durch den 
trefflichen Kraus die Ideen Adam Smith's kennen gelernt hatten, wurden 
nachher der Stamm der Reformpartei des Beamtenthums. Die neue 
Grenze am Bug und der Pilica war militärisch und wirthschaftlich sehr 
günstig, sie öffrete den Häfen der Provinz Preußen freien Verkehr mit 
dem Holz= und Getreidereichthum des inneren Polens, gab dem Staate 
die vielbewunderte uneinnehmbare Position zwischen Weichsel, Bug und 
Narew. Das unglückliche Volk in Großpolen und Masovien lernte zum 
ersten male seit Jahrhunderten den Segen einer gerechten und fürsorgen-
	        
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