Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Friedrich Wilhelm III. 147 
Weltanschauung emporheben konnte. Erst wurde die unbefangene Heiter— 
keit des Knaben durch die gallige Laune eines pedantischen Lehrers, des 
Theologen Behnisch, gewaltsam niedergedrückt; dann mußte der sitten— 
strenge Prinz das leichtfertige Treiben des väterlichen Hofes mit ansehen 
und den tiefen Ekel, den sein schamhafter Sinn empfand, scheu ver— 
bergen. So lernte er, in sich einzukehren und die Welt zu meiden. Eine 
unbezwingliche Schüchternheit lähmte ihm die Thatkraft; es war sein 
Verhängniß, daß er nie vermochte leicht zu leben und mit heiterem Selbst— 
gefühle unter seine Menschen zu blicken. Jedes Hinaustreten in die 
Oeffentlichkeit, selbst das Reden in größerem Kreise fiel ihm lästig; in 
barschen, abgerissenen Sätzen sprach er dann sein verständiges Urtheil, 
seine zarte Empfindung aus; das gedrückte, verlegene Wesen ließ die hohe 
ritterliche Gestalt mit den schönen treuen blauen Augen nicht zur rechten 
Geltung kommen. Von Jugend auf an den Umgang mit mittelmäßigen 
Köpfen gewöhnt, hat er den Widerwillen gegen das Geniale, Kühne, 
Außerordentliche selten überwunden. Ihn erschreckte jener laute rücksichts— 
lose Freimuth, der den großen Germanen eignet. Von allen den hoch- 
begabten Männern, die ihm dienten, ist ihm nur Einer wahrhaft lieb 
und theuer geworden: Scharnhorst's einfältig anspruchslose Größe. 
Es ist die Stärke und die Schuld treuer Gemüther, daß sie schwer 
vergessen. Friedrich Wilhelm verzieh leicht, doch vergaß er nicht. Wie 
er jedes Verdienst und jede unscheinbare Gefälligkeit dankbar im Gedächt- 
niß bewahrte und die Trennung von treuen Unterthanen als ein tiefes 
Herzeleid empfand, so konnte er auch den Zorn jahrelang in sich ver- 
schließen, bis er sich einmal das Herz faßte „auf gut deutsch seine Mei- 
nung zu sagen“; dann wurde der gütige Fürst in polternder Heftigkeit 
auf gut deutsch ungerecht und kleinlich. Am wenigsten vergaß er eigen- 
mächtiges Handeln seiner Diener. Denn er wollte der König sein, und 
er war es. Niemand hat ihn je beherrscht. Unsäglich schwer fiel ihm 
jeder große Entschluß; er zauderte und überlegte, ließ die Dinge gehen, 
duldete lange was ihm mißfiel, weil er sich mit seinem Urtheil nicht 
heraustraute; doch wenn entschieden sein mußte, dann folgte er immer 
und überall nur seinem Gewissen. Er hat aus Unentschlossenheit Vieles 
unterlassen, wozu sein gerader Verstand ihn drängte, aber nie etwas ge- 
than, was nicht aus eigener wohlerwogener Ueberzeugung kam. Sein 
langsamer, doch zäher und fester Geist nahm von den Gedanken größerer 
Köpfe nur auf was seinem Wesen zusagte; keine Macht der Ueberredung 
hätte ihn je bestimmt, die sittlichen und politischen Grundsätze, die ihm 
heilig waren, aufzugeben. Von der Schuld wie von dem Ruhme seiner 
langen Regierung gebührt ihm selber weit mehr als die Zeitgenossen an- 
nahmen, die den schlichten Fürsten neben den glänzenden Gestalten seiner 
Generale und Staatsmänner zuweilen fast aus den Augen verloren. Er 
trägt die Hauptschuld an jener schlaffen Friedenspolitik, welche dem alten 
10“
	        
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