206 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
zu kommen. Ihre Führer waren, obgleich sie hochmüthig lärmend auf
das Recht des Genies zu trotzen liebten, mehr feingebildete Kenner als
schöpferische Dichter, ihre Kunst mehr ein absichtliches Experimentiren als
unbewußtes Schaffen; statt jener Goethischen „Verliebtheit in's Reale"
sollte die Ironie, die Todfeindin aller Naivität; jetzt die echte poetische
Stimmung sein. Der schöne Ausspruch: edle Naturen zahlen mit dem
was sie sind — diente der anmaßlichen Unfruchtbarkeit zum Lotterbette.
Spielende Willkür verwischte die Grenzen aller Kunstformen, verdarb die
Keuschheit der Tragödie durch Operngesänge, führte die Zuschauer als
Mitredende in die dramatische Handlung ein, brachte die unverständ-
lichen Empfindungen entlegener Völker und Zeiten auf die Bühne, die
doch stets im edlen Sinne zeitgemäß bleiben und nur darstellen soll was
die Hörer mitfühlen. Die Sprache war nunmehr, nach Schiller's Worten,
durch große Meister so weit gebildet, daß sie für den Schriftsteller dich-
tete und dachte; das junge Geschlecht muthete ihr das Unmögliche zu,
sang von klingenden Farben und duftenden Tönen. Die Schranken
zwischen Poesie und Prosa stürzten ein, die Dichtung erging sich in Be-
trachtungen über die Kunst, die Kritik in phantastischen Bildern. Die
Kunst war Wissenschaft, die Wissenschaft Kunst; alle Offenbarungen des
Seelenlebens der Menschheit, Glauben und Wissen, Sage und Dich-
tung, Musik und bildende Künste entströmten dem einen Ocean der
Poesie um wieder in ihn zurückzufließen.
So gelangten die Romantiker, während sie beständig von volksthüm-
licher Dichtung sprachen, zu einer phantastischen und überbildeten Welt-
anschauung, die nur wenigen Eingeweihten, und auch diesen kaum, ver-
ständlich war. Von ihrer Zuchtlosigkeit und zugleich von ihrem Unver-
mögen gab Friedrich Schlegel's Lucinde ein trauriges Zeugniß: da schwelgte
eine künstlich erhitzte Phantasie in „Dithyramben über die schönste Si-
tuation“, ohne jemals sinnlich warm und anschaulich zu werden, es war
wie das Frrereden eines trunkenen Pedanten. Auch die Philosophie
wurde von dem Uebermuthe und der Unklarheit der Romantik ange-
kränkelt. Sie war bisher von den weltbürgerlichen Einwirkungen, welche
die übrige Literatur ergriffen, gar nicht berührt worden, sondern hatte
sich eine selbständige Ideenwelt geschaffen, die dem Auslande ebenso un-
faßbar blieb wie die Terminologie der deutschen Philosophen. Der Genius
unserer Sprache, der zu geistvoller, vielsagender Unbestimmtheit neigt,
kam den mystischen Neigungen der deutschen Natur nur zu bereitwillig
entgegen; die romantische Schwärmerei mußte ihnen vollends verhäng-
nißvoll werden. Wenn der junge Schelling, durch Goethe's Ideen ange-
regt, sich vermaß die Natur zu verfolgen, wie sie sich in allem Lebendigen
auseinandersetzt, so eröffnete er allerdings mit erstaunlicher Kühnheit dem
philosophischen Denken ein völlig neues Gebiet; doch ihm fehlte gänzlich
jene tiefe Bescheidenheit, welche Kant in seinen verwegensten Speculationen