298 I. 3. Preußens Erhebung.
große Mann so jahraus jahrein mit tausend Listen und Schlichen dem
allwissenden Feinde zu entschlüpfen suchte. Seine Seele schmachtete nach
der Freude der Schlacht; den letzten Hauch von Mann und Roß, Alles
was an die Wände pissen konnte wollte er dahingeben damit Deuschland
wieder sei; und immer wieder vereitelte der wachsame Gegner die Pläne
der Rüstung. Erst als die Stunde des offenen Kampfes schlug, trat mit
einem Schlage in's Leben was in fünf Jahren voll aufreibender Arbeit,
voll namenloser Sorge still bereitet war. Scharnhorst und Niemand
sonst ist der Vater der Landwehr von 1813. —
Unterdessen brachten Haß und Noth in den gebildeten Klassen Nord-
deutschlands eine grundtiefe Umstimmung der Gesinnungen zur Reife,
die durch die Gedankenarbeit der romantischen Literatur längst vorbereitet
war. Nach den großen Heimsuchungen des Völkerlebens erhebt sich stets.
ein Sturm von Klagen und Anklagen, die gequälten Gewissen suchen die
Schuld Aller auf die Schultern Einzelner hinüberzuwälzen, Schmähreden
und Schmutzschriften kriechen wie ekle Würmer aus dem Leichnam der
gefallenen alten Ordnung. So stürzte sich auch auf den gedemüthigten
preußischen Staat ein Schwarm frecher Lästerer — zumeist dieselben
Menschen, die vor dem Kriege den Bund Norddeutschlands mit Frank-
reich verherrlicht hatten. Cölln's Feuerbrände, Massenbach's Denkwürdig-
keiten, Buchholz's Gallerie preußischer Charaktere und ähnliche Schriften
trugen geschäftig allen Unrath zusammen, der sich nur irgend in den
Winkeln der alten Monarchie aufwühlen ließ, bis herab zu den Domänen-
käufen der Zeiten Friedrich Wilhelm's II. ) Jene dünkelhafte unfruchtbare
Altklugheit, die seit Nicolai's Tagen in den Kreisen der Berliner Halb-
bildung nicht mehr aussterben wollte, fand jetzt ihren politischen Ausdruck.
Wie jener ehrliche Alte einst im Namen der Aufklärung alles Freie und
Lebendige der jungen Dichtung bekämpft hatte, so wurde jetzt im Namen
der Freiheit der Krieg gegen Napoleon getadelt und verhöhnt. Nur Eng-
lands Kaufmannsselbstsucht und der Uebermuth der preußischen Offiziere
hatten das friedliebende Frankreich zum Kampfe gezwungen; und nichts
wollte Buchholz dem Staate Friedrich's weniger verzeihen als den un-
würdigen Bund mit der russischen Uncultur gegen die französische Cultur.
Die Verfasser dieser Libelle wurden die geistigen Ahnherren einer
neuen politischen Richtung, welche seitdem unter mannigfachen Formen
und Namen auf dem Berliner Boden heimisch und ein Krebsschaden des
preußischen Staates blieb, einer gewerbmäßigen Tadelsucht, die unerschöpf-
lich im Skandal, unendlich eingebildet und doch wehrlos gegen die Macht
der Phrase, immer mit großen Worten von Freiheit und Fortschritt prunkte
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*) Daß die „Gallerie“ aus Buchholz's Feder stammt, ist für Jeden, der andere
Schriften dieses Publicisten kennt, unzweifelhaft. Dazu das Zeugniß von Gentz (Ompteda,
Nachlaß I. 362).