Die Idee der deutschen Einheit. 301
Friedrich's Werk schien vernichtet, und Viele der jungen Schwärmer wollten
ihm nie verzeihen, daß er das Schwert gegen die gesalbte kaiserliche Maje—
stät erhoben hatte. Großherziges Vergessen der alten Bruderkämpfe, treue
Eintracht aller deutschen Stämme, das war es was man forderte für den
gemeinsamen Kampf; nicht von einem gegebenen politischen Mittelpunkte
aus, sondern durch die Erhebung der gesammten Nation sollte das Welt—
reich zerschmettert werden, und alles Weitere fand sich dann von selbst.
Es wurde verhängnißvoll für unser politisches Leben und hängt uns
nach bis zum heutigen Tage, daß der Gedanke der nationalen Einheit
bei uns nicht wie in Frankreich langsam die Jahrhunderte hindurch her—
anreifte, die natürliche Frucht einer stetigen, immer auf dasselbe Ziel ge—
richteten monarchischen Politik, sondern so urplötzlich nach langem Schlum—
mer wieder erwachte, unter zornigen Thränen, unter Träumen von Zeiten
die gewesen. Daher jener rührende Zug idealistischer Schwärmerei, treu—
herziger Begeisterung, der die deutschen Patrioten der folgenden Genera-
tionen so liebenswürdig erscheinen läßt. Daher ihre krankhafte Verbit-
terung: denn auch nachdem der rauhe Franzosenhaß jener gequälten Zeit
verraucht war, blieb ein tiefer Groll gegen das Ausland in den Herzen
der begeisterten Teutonen zurück; man konnte nicht träumen von Deutsch-
lands künftiger Größe, ohne die fremden Völker zu schelten, die sich so
oft und so schwer an der Mitte Europas versündigt hatten. Daher auch
die wunderbar verschwommene Unklarheit der politischen Hoffnungen der
Deutschen. Ein durch unbestimmte historische Bilder erhitzter Enthusias-
mus berauschte sich für die Idee eines großen Vaterlandes in den Wol-
ken, das irgendwie die Herrlichkeit der Ottonen und der Staufer er-
neuern sollte, begrüßte Jeden, der in die gleichen Klagen, in die gleiche
Sehnsucht mit einstimmte, Männer der verschiedensten politischen Rich-
tungen, willig als Parteigenossen und bemerkte kaum die lebendigen Kräfte
der wirklichen deutschen Einheit, die in dem preußischen Staate sich regten.
Daher endlich die haltlose Schwäche des deutschen Nationalgefühls, das
bis zur Stunde noch nicht die untrügliche Sicherheit eines naiven volks-
thümlichen Instinctes erlangt hat. Der Traum der deutschen Einheit
drang sehr langsam aus den gebildeten Ständen in die Massen des Volkes
hinab, und auch dann noch blieb der große Name des Vaterlandes dem
geringen Manne lange nur ein unbestimmtes Wort, eine wundervolle
Verheißung, und die ehrliche Liebe zum einigen Deutschland vertrug sich
wohl mit einem engherzigen, handfesten Particularismus.
In Preußen stand die alte Königstreue zu fest, als daß sich die Hoff-
nungen der Patrioten so ganz in's Grenzenlose hätten verlieren können.
Es ist kein Zufall, daß Keiner unter den Publicisten und Volksrednern
der Zeit so viel nüchterne realpolitische Einsicht zeigte wie Schleiermacher,
der geborene Preuße: wenn er von Deutschlands Befreiung sprach, so blieb
ihm die Wiederherstellung der alten preußischen Macht immer die selbst-