Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

322 I. 3. Preußens Erhebung. 
des Vertrauens betrachten, wenn der König bald aus dem sicheren Königs- 
berg nach Berlin übersiedele! Und endlich noch eine neue unerhörte Gau- 
nerei: Napoleon confiscirte, abermals den Tilsiter Verträgen zuwider, die 
von den preußischen Credit= und Wohlthätigkeitsanstalten im Herzogthum 
Warschau ausgeliehenen Capitalien, desgleichen die Schuldforderungen 
der preußischen Privatleute, und verkaufte dann seinen Raub, da gestoh- 
lenes Gut immer niedrig im Preise steht, etwas unter dem Nennwerthe 
an den König von Sachsen, der für die Gnade dieses Bayonner Vertrages 
seinen unterthänigen Dank aussprach. Das preußische Volksvermögen war 
wieder um 30 Mill. Thlr. verringert, die Bank allein verlor an 10 Mill. 
Unterdessen währte der Krieg zwischen dem Wolf und dem Fisch mit 
steigender Erbitterung fort. Der völkerrechtswidrige Einbruch der Briten 
in Dänemark wurde von Napoleon gewandt benutzt um den öffentlichen 
Unwillen aufzuregen gegen diese Macht, die Alles was den Menschen heilig 
unter die Füße trete. In der That fand das Märchen, daß das neue 
Weltreich nur die Freiheit der Meere bezwecke, noch immer manche gläubige 
Hörer. Die Cabinette des Ostens zählten nicht zu ihnen. Keine der drei 
Ostmächte hat seit dem Tilsiter Frieden je wieder ein rückhaltloses Ver- 
trauen zu dem Weltherrscher gefaßt, wie unstet auch ihre Politik zuweilen 
schwankte; die Erkenntniß, daß man dereinst noch selbdritt gegen Frank- 
reich werde kämpfen müssen, machte in der Stille ihren Weg. Die Hof- 
burg vernahm mit Bestürzung von den weitaussehenden orientalischen 
Plänen, womit der Imperator seinen Tilsiter Freund unterhielt. Stadion 
wies den Gedanken nicht geradezu von sich, ob man nicht äußersten Falls 
an der Zerstörung des osmanischen Reichs theilnehmen und den Westen 
der Balkanhalbinsel, bis Saloniki, für Oesterreich retten könne. Weit 
näher lag ihm indeß die Erwägung, daß der Weg von Napoleon's adria- 
tischen Provinzen nach der Türkei durch das österreichische Istrien führte, 
und mithin ein neuer Ueberfall zu befürchten stand. Der Staat erholte 
sich nachgerade von seinen Niederlagen; man rüstete mit ungewohntem 
Eifer, schritt im Frühjahr 1808 sogar zur Bildung einer Landmiliz, und 
Stadion meinte hoffnungsvoll: wir sind wieder eine Nation. . 
Auch die russisch-französische Allianz stand auf schwachen Füßen. So 
lebhaft die russischen Generale vor Kurzem erst den preußischen Krieg 
verwünscht hatten, ebenso unwillig empfingen der Hof und das Volk die 
Nachricht von dem unehrenhaften Friedensschlusse. Der nationale Instinkt 
fühlte rasch heraus, was die Errichtung des Herzogthums Warschau für 
Rußlands Zukunft bedeutete. Der Haß gegen Frankreich nahm überhand 
und ergriff selbst das Heer; man murrte, der Czar lasse sich von dem 
Corsen mißbrauchen. Alexander's erregbare Natur blieb nicht unempfind- 
lich für diese Volksstimmungen. Als er in Tilsit seinen Bundesgenossen 
preisgab, war er keineswegs gemeint gewesen sich von „der gerechten 
Sache“ für immer zurückzuziehen; vielmehr versicherte er noch jetzt im
	        
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