Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

344 I. 3. Preußens Erhebung. 
thums. Unzählige hofften von ihm die Wiederkehr der alten Größe; man 
rauchte Schill-Kanaster, in jedem Bauernhause der Marken prangte das 
Bild mit dem martialischen Schnurrbart und Fouqué's Versen darunter. 
Die Volksgunst stieg dem ehrlichen Haudegen zu Kopfe; der Bescheidene 
wähnte sich jetzt auserkoren zu wunderbaren Dingen, und kaum war der 
Krieg im Süden ausgebrochen, so führte er seine kleine Truppe, wenige 
hundert Mann, von dem Berliner Exercirplatze hinweg zum Angriff gegen 
das Königreich Westphalen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken 
ohne Endel — rief er den unglücklichen Verführten zu. Die treuen 
Männer folgten ihm nur weil er im Auftrage der Krone zu handeln vor- 
gab und sich vermaß, die alte Größe Preußens wiederherzustellen. Bald 
nach dem Ausmarsch ereilte ihn die Nachricht von den Niederlagen der 
Oesterreicher an der oberen Donau; das unsinnige Unternehmen scheiterte 
schon im Beginne, von einem großen Volksaufstande war jetzt keine Rede 
mehr. Der König ließ nicht nur, wie seine Pflicht gebot, den Ernst des 
Gesetzes gegen die Deserteure in Kraft treten, er sprach auch in scharfen 
Worten seine Entrüstung aus über Schill's „.unglaubliche That" — mit 
vollem Rechte, denn was stand noch fest in dem unglücklichen Staate, 
wenn der Gehorsam des Heeres in's Wanken kam. Die verwegene Schaar 
fand nach planlosen Kreuz= und Querzügen einen ehrenvollen Untergang 
in den Mauern von Stralsund, und Napoleon that das Seine um das 
Andenken der verlorenen Söhne des deutschen Volks zu heiligen. Welch 
ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche Schill's der Kopf abge- 
schnitten, seine gefangenen Offiziere — allerdings nach dem Buchstaben 
des Völkerrechts — als Straßenräuber behandelt und theils erschossen, 
theils auf die Galeeren geschleppt wurden! Tausende wiederholten tief 
empört die Strophen Schenkendorf's: 
Stahl von Männerfaust geschwungen 
Rettet einzig dies Geschlecht! 
Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme 
an dem Kampfe. Er war entschlossen zu schlagen, doch er blieb nüchtern 
inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtsein einer ungeheuren Ver- 
antwortung lastete schwer auf seiner Seele; denn zog er diesmal vergeb- 
lich das Schwert, so war Preußen vernichtet — nach menschlichem Er- 
messen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der 
Feind wohlgerüstet in Danzig und Magdeburg stand und durch die Garni- 
sonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerschnitt — dies furcht- 
bare Wagniß war ein Unrecht, wenn sich nicht zum mindesten eine 
Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum 
zweiten male, wie in den Tagen von Austerlitz, durch Oesterreichs Wankel- 
muth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg- 
schaften, daß Kaiser Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe 
bis Preußen im Stande sei in den Kampf einzugreifen. Er forderte
	        
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