372 I. 3. Preußens Erhebung.
Kreise ganz verstanden. Hardenberg's Gedanken lagen näher an der breiten
Heerstraße des Zeitalters der Revolution; darum fand er in der Presse
jederzeit eine lebhafte Unterstützung, deren Stein immer entbehrte. Unter
denen, die sein Lob sangen, ging die Rede, durch die Gesetze dieser großen
sieben Tage sei ein Kreis umschrieben, den das revolutionäre Frankreich
erst in zwei Jahren durchlaufen hätte — ein Lob, das nachher in alle
Geschichtswerke der Schlosser'schen Schule übergegangen ist.
In Wahrheit war gerade die wichtigste der in Aussicht gestellten
Reformen, die gleichmäßige Besteuerung aller Stände vorläufig nur ver-
heißen, nicht erfüllt. Aber schon diese Verheißung genügte um die ganze
feudale Partei in Aufruhr zu bringen. Der kurmärkische Adel hatte die
Ernennung des Staatskanzlers Anfangs mit Freuden begrüßt, da man
von Hardenberg erwartete, er werde die Uebereilungen Stein's rückgängig
machen. Sobald der neue Regent sein wahres Gesicht zeigte, brauste ein
Sturm der Entrüstung durch die Kreise des Landadels, und Hardenberg
wurde bald noch leidenschaftlicher angefeindet als vordem Stein. Eine
Fluth von Beschwerden und Bitten wälzte sich an den Thron; „es giebt
bei uns keine Hypotheken, es giebt bei uns kein Eigenthum mehr,“ klagte
der Ostpreuße von Domhardt unter heftigen Verwünschungen gegen die
neuen Nivelleurs und Jacobiner.)
Das classische Land des alten Ständewesens blieb Brandenburg.
Nirgends waren die ständischen Institutionen verrotteter, nirgends den
Ständen theuerer. In den Augen dieses stolzen tapferen Adels galt der
Pommer und der Schlesier noch als Ausländer. Noch einmal erhob sich der
altständische Particularismus zu offener Fehde gegen die Rechtsgleichheit
und Staatseinheit der Monarchie. Als sein Wortführer trat, so prall
und patzig wie einst Conrad von Burgsdorff wider den Großen Kurfürsten,
der Freiherr von der Marwitz auf den Plan — das Urbild des branden-
burgischen Junkers, einer der tapfersten Offiziere und der tollste Reiter
der Armee, grob, schroff und knorrig, ein grunddeutscher Mann von
scharfem Verstande und unbändigem Freimuth, voll feuriger Vaterlands-
liebe aber auch voll harter Vorurtheile, so naiv in seinem Standesstolze,
daß er an die rechtliche Meinung eines Gegners kaum je zu glauben ver-
mochte. Seit Langem schon lag er in heftigem Streite mit der Potsdamer
Regierung, weil diese dem brandenburgischen Landtage einen Theil seiner
ständischen Verwaltung, namentlich das verwahrloste Landarmenwesen ab-
nehmen wollte; man mußte endlich die Landarmenkasse gewaltsam aufbrechen
und nach Potsdam entführen, der trotzige Mann gab die Schlüssel nicht her-
aus. Die neuen Steuerpläne erschienen ihm als ein frevelhafter Bruch des
alten Landesrechts, das in dem kurbrandenburgischen Landtags-Receß von
1653 verbrieft und versiegelt war. Unablässig bestürmten die Ritter den
*) Eingabe v. 4. Dec. 1810. Aehnliche Eingaben aus Altpreußen von v. Hülsen,
v. Brederlow u. A.