Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Weltstellung des preußischen Staates. 31 
einem Schlage führte Friedrich Wilhelm seinen mißachteten kleinen Staat 
in die Reihe der europäischen Mächte ein; seit der Schlacht von Warschau 
stand Brandenburg den alten Militärstaaten ebenbürtig zur Seite. Wie 
eine Insel schien diese festgeeinte kriegerische Macht urplötzlich emporzu— 
steigen aus der tobenden See deutscher Vielherrschaft, vor den verwun— 
derten Blicken eines Volkes, das längst verlernt an raschen Entschluß 
und großes Gelingen zu glauben. So scharf wehte der frische Luftzug 
des bewußten politischen Willens durch die Geschichte des neuen preußischen 
Staates, so straff und gewaltsam ward jeder Muskel seines Volks zur 
Arbeit angespannt, so grell erschien das Mißverhältniß zwischen seinem 
Ehrgeiz und seinen Mitteln, daß er bei Freund und Feind durch an— 
derthalb Jahrhunderte nur als eine künstliche Schöpfung galt. Die 
Welt hielt für das willkürliche Wagniß einiger Lieblinge des Glücks, 
was der nothwendige Neubau des uralten nationalen Staates der 
Deutschen war. 
Preußen behauptete wie in den deutschen Glaubenshändeln, so auch 
in den großen Machtkämpfen des Welttheils eine schwierige Mittelstellung. 
So lange das protestantische Deutschland willenlos darniederlag, zerfiel 
Europa in zwei getrennte Staatensysteme, die einander selten berührten. 
Die Staatenwelt des Südens und Westens kämpfte um die Beherrschung 
Italiens und der rheinisch-burgundischen Lande, während die Mächte des 
Nordens und Ostens sich um die Trümmerstücke des deutschen Ordens— 
staates und um den Nachlaß der Hansa, die Ostseeherrschaft stritten. 
Der Osten und der Westen begegneten sich nur in dem einen Verlangen, 
die ungeheure Lücke, die in der Mitte des Welttheils klaffte, immerdar 
offen zu halten. Nun erhob sich die jugendliche deutsche Macht, das 
vielverspottete „Reich der langen Grenzen“. Sie gehörte dem Welttheil 
an, ihr versprengtes Gebiet berührte die Marken aller Großmächte des 
Festlands. Sobald sie anfing mit selbständigem Willen sich zu bewegen, 
griffen die Mächte des Westens in die Händel des Ostens ein, immer 
häufiger verschlangen und durchkreuzten sich die Interessen der beiden 
Staatensysteme. 
Der geborene Gegner der alten, auf Deutschlands Ohnmacht ruhenden 
Ordnung Europas, stand Preußen in einer Welt von Feinden, deren 
Eifersucht seine einzige Rettung blieb, ohne irgend einen natürlichen 
Bundesgenossen, denn noch war der deutschen Nation das Verständniß 
dieser jungen Kraft nicht aufgegangen. Und dies in jener Zeit der harten 
Staatsraison, da der Staat nur Macht war und die Vernichtung des 
Nachbarn als seine natürliche Pflicht betrachtete. Wie das Haus Savoyen 
sich hindurchwand durch die Uebermacht der Habsburger und der Bour— 
bonen, ebenso, doch ungleich schwerer bedrängt mußte Preußen sich seinen 
Weg bahnen zwischen Oesterreich und Frankreich hindurch, zwischen 
Schweden und Polen, zwischen den Seemächten und der trägen Masse
	        
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