Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

410 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
berechnete die Summe, sehr niedrig, auf 94 Mill. Fr. Um die Täuschung 
zu vollenden benutzte Hardenberg noch einen verbrauchten Kunstgriff der 
alten Cabinetspolitik: er sendete den unfähigsten seiner Diplomaten, den 
Fürsten Hatzfeldt, einen erklärten Franzosenfreund, der von den Absichten 
des Staatskanzlers nicht das Mindeste ahnte, nach Paris um die That 
York's zu entschuldigen und nochmals an die Abzahlung der Vorschüsse zu 
erinnern. „Seine Sendung ist eine Maske,“ so sagte Hardenberg selber.“) 
Bei einiger Kenntniß der preußischen Dinge konnte der Imperator 
schon aus der Persönlichkeit des Unterhändlers errathen, daß diese Sen- 
dung bestimmt war zu scheitern. Er aber hatte für das kleine Preußen 
kein Auge, sondern lebte und webte in den Entwürfen für einen zweiten 
russischen Feldzug. Während prunkende Feste in Fontainebleau die Welt 
über die wachsende Verstimmung des französischen Volkes täuschen sollten, 
wurde eine neue Aushebung von 350,000 Mann, im März nochmals 
eine Conscription von 180,000 Mann angeordnet. Seit dem Jahre 1793 
waren mehr denn drei Millionen Franzosen unter die Fahnen gerufen und 
die Mehrzahl davon im Kriege umgekommen; der Minister Montalivet aber 
betheuerte in einer schwungvollen parlamentarischen Prachtrede, die Con- 
seription habe eine erfreuliche Vermehrung der Bevölkerung herbeigeführt. 
Der Imperator rechnete, im Frühjahr von Magdeburg aus den zweiten 
Krieg gegen Rußland zu eröffnen, die Sachsen auf dem rechten, die 
Preußen auf dem linken Flügel; im Juni sollte Danzig deblokirt, im 
August der Niemen abermals überschritten werden. Kein Gedanke an 
Nachgiebigkeit. Ueberall, so versicherte er seinen Schwiegervater, seien 
die Russen in offener Feldschlacht geschlagen worden; auch nicht ein Dorf 
von Warschau dürfe der Czar erhalten; nun gar die constitutionellen 
Grenzen des Kaiserreichs, das Rom, Amsterdam und Hamburg zu seinen 
guten Städten zählte, blieben unantastbar für alle Zukunft! Seinen 
deutschen Vasallen gab er nochmals zu wissen, daß er für die Herrlichkeit 
des deutschen Particularismus streite: sie hätten nicht bloß den auswär- 
tigen Gegner zu bekämpfen, sondern einen gefährlicheren Feind — jenen 
Geist der Anarchie, welchen die Umsturzmänner Stein und Genossen heg- 
ten; die Dynastien des Rheinbundes zu entthronen und ein sogenanntes 
Deutschland zu schaffen (créer ce qwils appellent une Allemagne), das 
sei das Ziel der deutschen Aufrührer. 
Der preußischen Monarchie meinte er sicher zu sein, wo nicht ihrer 
Treue so doch ihrer Ohnmacht; noch im März schrieb er geringschätzig an 
Eugen Beauharnais, mehr als 40,000 Mann könnten die Preußen doch 
nicht aufbringen, und davon nur 25,000 für das freie Feld. Er selber 
hatte zu Anfang des letzten Feldzugs die treffliche militärische Haltung des 
Vork'schen Corps bewundert; er war gewarnt, hundertmal gewarnt durch 
  
*) Hardenberg's Tagebuch, 10. Jan. 1813.
	        
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