Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Der König in Breslau. 415 
Rußland die Weichsel und Oder überschreiten, den Krieg mit ganzer Kraft 
fortführen wolle. Der Czar strahlte von Zuversicht: der König allein 
könne Europa retten oder für immer verderben. Er ging auf Alles 
freudig ein, versprach sogleich 10—15,000 Mann gegen die Oder zu senden 
und schätzte die Truppen, die bald nachkommen sollten, auf 100,000 Mann. 
Erst am 20. Januar langte Natzmer auf weiten Umwegen wieder bei dem 
Staatskanzler an, da Eugen Beauharnais Verdacht geschöpft und seinen 
Truppen befohlen hatte, den Adjutanten seines königlichen Bundesgenossen 
gefangen zu nehmen. 
Sofort nach der Rückkehr des Unterhändlers wurden die Vorbe- 
reitungen getroffen für die Abreise des Königs nach Breslau und zugleich 
befohlen, daß alle irgend kriegsfähigen Cadetten nach Schlesien abgehen 
sollten. Der alte Commandeur der Pflanzschule des Offizierscorps wußte 
sich gar nicht mehr zu helfen in der wilden Zeit. Die ganzen Weihnachts- 
ferien über hatten seine Jungen gezecht und gejubelt in einem ununter- 
brochenen Siegesfeste von wegen der Nachrichten aus Rußland. Nun 
fuhren die Großen glückselig in mächtigen Korbwagen die hartgefrorenen 
Straßen dahin, den schlesischen Bergen zu; die Kleinen aber, die traurig 
im Hause blieben, legten ihr Taschengeld zusammen für den heiligen Krieg, 
denn Niemand zweifelte, wem es galt. Am 21. Januar feierte das könig- 
liche Haus die Confirmation des Kronprinzen. Wie viele herrliche, ach 
so bitter getäuschte Hoffnungen hingen damals an dem reichbegabten, geist- 
sprühenden Jüngling! Kein Auge blieb thränenleer; Allen war, als ob 
der Schatten der verklärten Königin unter ihren Kindern erschiene, wäh- 
rend das bedeutungsvolle Bekenntniß des Thronfolgers verlesen wurde: 
„Fest. und ruhig glaube ich an den, der zum Uebermuthe spricht: hier 
sollen sich legen deine stolzen Wellen! Das Morgenroth eines besseren 
Tages bricht an.“ Zwei Tage darauf reiste der König plbötzlich nach 
Breslau ab, und hier, endlich wieder auf freiem preußischem Boden, nicht 
mehr den Handstreichen französischer Truppen ausgesetzt, konnte er etwas 
offener auftreten. 
In seinen finanziellen Maßregeln war der Staatskanzler freilich auch 
jetzt wieder unglücklich; ein Versuch den entwertheten Tresorscheinen durch 
den Zwangscurs aufzuhelfen mußte schon nach wenigen Wochen zurück- 
genommen werden. Rascher schritten die Rüstungen vorwärts. Der König 
bildete ein „Comité zur Verstärkung der Armee“, berief dazu Hardenberg, 
den Kriegsminister Hacke und Scharnhorst, dessen Name schon allen Kundigen 
sagte, daß es nunmehr ganzer, schwerer Ernst war. Mit Feuereifer ging 
der geistreiche Hippel, dem der Staatskanzler die Militärsachen übertrug, 
auf die Entwürfe des Generals ein. Der Waffenschmied der deutschen 
Freiheit sah nun endlich seine Saaten aufgehen; seine Kräfte schienen ver- 
doppelt, sein ganzes Wesen gehoben und durchleuchtet von stolzer Zuversicht. 
Tag und Nacht war er thätig, bald in Berathungen und Unterredungen
	        
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