Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Alexander und Czartoryski. 421 
Er schilderte zwar mit beredten Worten, wie in einer Zeit der Entartung 
der Bauer wehrscheu geworden sei und nun endlich wieder der alte ger- 
manische Glaube obenauf komme, „daß ein ganzes Volk waffengerüstet 
und waffengeübt sein müsse, wenn es nicht Freiheit, Ehre, Glück, Gut 
und Muth verlieren wolle.“ Doch zugleich verwahrte er sich dawider, daß 
man die Landwehr als eine Art Conscription ansehe: „es ist bloß eine 
Einrichtung für den Krieg,“ und sie wird ermöglichen, daß späterhin viel- 
leicht zwei Drittel der stehenden Heere aufgehoben werden. 
Immerhin blieben die Opfer, welche das ausgesogene, menschenarme 
Land brachte, staunenswerth. Diese eine Provinz von einer Million Ein- 
wohnern stellte außer 13,000 Mann Reserve für das Jork'sche Corps 
noch 20,000 Mann Landwehr, ein trefflich berittenes National-Cavallerie= 
regiment und 700 Freiwillige als Stamm für das Offizierscorps. Am 
8. Februar, sobald der Landtag die Landwehrordnung angenommen hatte, 
eilte Stein zu dem Czaren zurück; er sah, daß Alles in guten Händen 
lag und wollte nicht einmal den Schein erregen, als ob die preußische 
Erhebung ein Werk der Russen sei. 
Das alte Ordensland aber hallte wider vom Klange der Waffen, 
wie vor Zeiten, wenn das Kriegsgeschrei der deutschen Herren die Grenzer 
zur Heidenjagd aufbot. Was nur den Säbel schwingen konnte, eilte 
herbei; da galt kein Unterschied des Standes noch des Alters. Alexander 
Dohna war der Erste, der als Gemeiner in die Landwehr eintrat. Die 
Universität stand leer, die oberen Klassen der Gymnasien wurden ge- 
schlossen. Welch ein Eindruck, als der ehrwürdige Rector Delbrück in 
Königsberg seinen Primanern, die zu Felde zogen, zum Abschied Klopstock’s 
Ode von Herman und Thusnelda vortrug. Wie oft hatte dies gefühls- 
selige Geschlecht mit thränenden Augen die überschwänglichen Verse von 
der alten Schlachtengröße der Germanen gehört; jetzt trat es leibhaftig 
vor Aller Augen, das neue Deutschland, hehrer und herrlicher als des 
Dichters Traumbild, aber auch streng und furchtbar, das Höchste heischend 
von seinen Söhnen, über tausende junger Leiber sollte sein Siegeswagen 
dahingehen. Das Alles aber geschah unter ausdrücklichem Vorbehalt der 
Genehmigung des Königs. Nach Abschluß der Berathungen schrieben die 
Stände dem Monarchen: „Nur was unser allgeliebter Landesvater will, 
wollen wir, nur unter seiner erhabenen Leitung Preußens und Deutsch- 
lands Schmach rächen, für die Selbständigkeit unseres theuren Vater- 
landes kriegend siegen oder sterben.“ Dann beschworen sie ihn nochmals, 
der Begeisterung seines treuen Volkes freien Lauf zu lassen: „In dem 
großen Plane der Vorsehung kann die Vernichtung des preußischen Staates 
nicht liegen. Dieser Staat ist der Welt und der wahren Aufklärung 
nöthig.“ Mit diesen Beschlüssen der Altpreußen traf Graf Ludwig Dohna 
am 21. Februar in Breslau ein. — 
Dort harrte man unterdessen in höchster Spannung auf günstige
	        
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