436 « I. 4. Der Befreiungskrieg.
leonischer Landsknechtsgesinnung. Der deutsche Befreiungskrieg war in
seiner ersten, schwereren Hälfte ein Kampf Preußens gegen die von Frank-
reich beherrschten drei Viertel der deutschen Nation.
Wie einst der Beginn der modernen deutschen Staatenbildung, so
ging auch die Wiederherstellung der nationalen Unabhängigkeit allein vom
Norden aus. Die neuen politischen und sittlichen Ideale der erregten
Jugend trugen das Gepräge norddeutscher Bildung; der alte deutsche
Gott, zu dem sie betete, war der Gott der Protestanten, all ihr Thun
und Denken ruhte, bewußt oder unbewußt, auf dem sittlichen Grunde der
strengen Kantischen Pflichtenlehre. Es wurde folgenreich für lange Jahr-
zehnte der deutschen Geschichte, daß doch nur die norddeutschen Stämme
wirklichen Antheil hatten an den schönsten Erinnerungen dieses neuen
Deutschlands, während der Süden erst zwei Menschenalter später des
Glückes theilhaftig ward, für das große Vaterland zu kämpfen und zu
siegen.
Bald genug zeigte sich die prophetische Wahrheit, die in den harten
Worten Fichte's lag: „Auch im Kriege wird ein Volk zum Volke; wer
diesen Krieg nicht mitführt, kann durch kein Decret dem deutschen Volke
einverleibt werden.“ Das neue Preußen, sein Staat und sein Heer,
hatte sich gebildet im bewußten Gegensatze zu allem ausländischen Wesen;
die Staaten des Südens verdankten der Herrschaft Frankreichs ihr Da-
sein, ihre Institutionen, ihre militärischen Erinnerungen; darum war im
Norden die Liebe zum Vaterlande ein starkes, sicheres nationales Gefühl,
während im Süden die französischen Ideen noch lange vorherrschten und
der Name Deutschland nur ein leeres Wort blieb. Wohl schlug sich der
kurmärkische Bauer und der schlesische Weber nur für Weib und Kind
und für seinen angestammten König; aber die Blücher, YDork und Bülow,
die er als seine Preußenhelden ehrte, waren doch wirklich die Helden des
neuen Deutschlands. Der süddeutsche Landmann wußte nichts von ihnen.
Und etwas von den deutsch-patriotischen Gedanken, welche die bewaffnete
Jugend der gebildeten Stände erfüllten, drang doch allmählich bis in die
niederen Schichten des preußischen Volkes herab. Jener demokratische
Zug, der seit der Befestigung der absoluten Monarchie im preußischen
Staate lebendig war, verstärkte sich mächtig während dieses Krieges. Wie
vormals die gemeinsame Freude an den Werken der deutschen Dichtung
die Unterschiede der Stände etwas ausgeglichen hatte, so fanden sich jetzt
alle Klassen zusammen in der ungleich wirksameren Gemeinschaft politischer
Pflichterfüllung. Die Geschäfte der Landwehr-Ausschüsse, die Uebungen
des Landsturms, die öffentlichen Sammlungen und die Liebesarbeit in
den Hospitälern brachten auch die Daheimgebliebenen einander näher; der
schroffe Junker lernte mit den Bürgersleuten der Kreisstadt freundnach-
barlich zu verkehren; wer in dieser Zeit sich hervorgethan, blieb sein Leben.
lang ein geachteter Mann.