Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Beginn des Herbstfeldzuges. 475 
so berücksichtigte auch der neue, auf Grund der Verabredungen vom Mai 
festgestellte Kriegsplan in erster Linie die Interessen Oesterreichs. General 
Toll, der fähigste Generalstabsoffizier der russischen Armee, vereinbarte 
am 12. Juli zu Trachenberg mit Knesebeck und dem schwedischen Kron- 
prinzen die Bildung dreier Heere, deren jedes aus Truppen der verschie- 
denen Nationen gemischt sein sollte, während Blücher umgekehrt seine 
Preußen unter seinem eigenen Befehle zu vereinigen wünschte. Die Haupt- 
armee von 235,000 Mann versammelte sich an der Nordgrenze von Böh- 
men unter Schwarzenberg's unmittelbarer Führung; dadurch wurde Kaiser 
Franz seiner schwersten Sorge ledig, eine Verlegung des Kriegsschauplatzes 
nach dem Innern Oesterreichs war kaum noch zu befürchten. In den 
Marken und an der Niederelbe stand die Nordarmee unter Bernadotte, 
über 150,000 Mann, in Schlesien Blücher mit 95,000 Mann. Alle drei 
Heere sollten die Offensive ergreifen und ihren Sammelplatz im Lager 
des Feindes suchen; wendete sich Napoleon von seinem Stützpunkte Dres- 
den aus mit überlegener Macht gegen eine der drei Armeen, so wich diese 
aus und die beiden anderen bedrohten ihn in Rücken und Flanke. So 
hatte das alte Europa doch endlich etwas gelernt von der neuen groß- 
artigen Kriegsweise: nicht mehr die Besitznahme einzelner geographischer 
Punkte, sondern die Besiegung des Feindes wurde als der Zweck der Ope- 
ration bezeichnet. Freilich stimmten die überbehutsamen Vorschriften für 
die Ausführung wenig zu der Kühnheit des strategischen Grundgedankens. 
Der schlesischen Armee dachte das große Hauptquartier nur die beschei- 
denen Aufgaben eines großen Observationscorps zu, da sie die schwächste 
von allen war und der stärksten Position des Feindes gegenüberstand; 
mit Mühe erwirkte sich Blücher die Erlaubniß unter außerordentlich gün- 
stigen Umständen eine Schlacht anzunehmen. Seine Offiziere klagten 
über die bescheidene Rolle die man ihnen zuwies, und beneideten ihre nach 
Böhmen zur Hauptarmee abmarschirenden Kameraden; der alte Held aber 
nahm sich vor, seine Vollmacht im allerweitesten Sinne auszulegen. Ein 
Glück übrigens, daß man im großen Hauptguartiere die feindlichen Streit- 
kräfte um volle 100,000 Mann unterschätzte; so gewannen die Bedacht- 
samen doch einigen Muth. 
Auch Napoleon war über die Stärke und die Stellungen der Ver- 
bündeten schlecht unterrichtet; er suchte ihre Hauptarmee in Schlesien und 
schlug die Kopfzahl der Nordarmee viel zu niedrig an. Sein nächstes 
Ziel blieb noch immer die Vernichtung der preußischen Macht. Derweil 
der Imperator selbst die schwierige Aufgabe übernahm, von Dresden aus 
zugleich die böhmische und die schlesische Armee zurückzuhalten, sollte Oudinot 
Berlin erobern, die Landwehr entwaffnen, die preußische Volkserhebung 
völlig niederwerfen. Glückte dieser Schlag, so schien es möglich Stettin 
und Küstrin zu verstärken, vielleicht selbst Danzig zu entsetzen; der Zau- 
derer Bernadotte wich dann unzweifelhaft an die Küste zurück, Preußen
	        
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