Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

478 J. 4. Der Befreiungskrieg. 
einst seine besten Jahre im Einerlei subalternen Dienstes verbracht hatte. 
Die Langeweile jener öden Zeit kam ihm jetzt zu gute; er kannte Weg 
und Steg im Lande, er wußte, daß die heimtückischen kleinen Bäche des 
Riesengebirges bei Unwetter rasch zu reißenden Strömen werden, und 
baute darauf seinen Plan. Nichts schien ihm erbärmlicher als das Aus— 
ruhen auf den errungenen Lorbeeren; kaum war Schlesien befreit, so 
faßte er alsbald das Ziel der Vereinigung der drei Armeen in's Auge. 
Nur so konnte eine große Entscheidung erzwungen werden, und dieses 
letzten Erfolges fühlte sich der Kühne so sicher, daß er schon im September, 
zu einer Zeit da die Meisten kaum auf die Eroberung von Dresden zu 
hoffen wagten, seinen Offizieren voraussagte, sie sollten noch in diesem 
Herbst Trauben am Rhein pflücken. Er nannte Napoleon gern seinen 
Lehrer, denn von ihm hatte er gelernt die Künstelei der alten militärischen 
Schule zu verachten; erst in der Hauptstadt des Feindes hoffte er die 
Waffen niederzulegen. So stand er unter den Heerführern der Verbün— 
deten als der Pfadfinder des Sieges, wie ihn der Meißel Christian Rauch's 
dargestellt hat, mit vorgestrecktem Arm hinweisend auf des Krieges letztes 
Ziel, der einzige Mann, der sich der Feldherrngröße Napoleon's gewachsen 
fühlte. Fortiter, fideliter, feliciter! — so lautete der hochgemuthe Wahl- 
spruch seines Wappens. 
Die Begeisterung der Jugend und die Gunst der Frauen wendeten 
sich der heiteren Kraft und Frische des genialen Mannes von selber zu; 
vor den älteren Kameraden mußte er sich erst durch den Erfolg rechtfer- 
tigen. Die drei Corpsführer der schlesischen Armee fügten sich ungern den 
Weisungen des jungen Generalmajors; immerhin war Sacken's Eigensinn 
und Langeron's Ungehorsam noch erträglicher als das gallige Tadeln und 
Klagen VYork's. Der Hochconservative hatte den alten Groll gegen die 
Reformpartei noch nicht überwunden, nannte Blücher einen rohen Husaren, 
Gneisenau ein phantastisches Kraftgenie, schalt über die Heerverderber, 
die den erschöpften Truppen unmögliche Entbehrungen und Gewaltmärsche 
zumutheten, forderte wiederholt seinen Abschied. Blücher's Hochherzigkeit 
ließ sich von Alledem gar nicht anfechten; er meinte gleichmüthig: „der 
York ist ein giftiger Kerl, er thut nichts als räsonniren, aber wenn es 
losgeht dann beißt er an wie Keiner.“ 
Unbeirrt von Blücher's vorwärtsdrängendem Ungestüm wie von den 
besorgten Warnungen der Generale schritt Gneisenau seines Weges. Durch 
den Sieg an der Katzbach entwaffnete er den Widerstand. Der Tadel wagte 
sich nicht mehr so laut hervor, obschon er nicht gänzlich verstummte; und 
als auch im weiteren Verlaufe des Krieges fast immer die schönsten Kränze 
diesem kleinen Heere zufielen, da galt es bald als ein Ruhm der schlesischen 
Armee anzugehören. Ein frohes Selbstgefühl verband alle ihre Glieder, 
sie wußte, daß sie wirklich, wie Clausewitz sagte, die stählerne Spitze war 
an dem schwerfälligen eisernen Keile der Coalition. Selbst die Russen ver-
	        
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