Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

530 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
gedachte in den verstärkten Niederlanden einen zuverlässigen Bundes- 
genossen, in dem Antwerpener Hafen einen wohlgedeckten Brückenkopf für 
seine Festlandskriege zu finden; man hoffte durch die Verheirathung des 
Erbprinzen von Oranien mit der Erbin der englischen Krone diesen Bund 
noch fester zu begründen. Die Angst vor dem jacobinischen Geiste des preu- 
ßischen Heeres bestärkte das Tory-Cabinet in solchen Anschauungen: diese 
„exaltirte“ kriegerische Macht mußte um des Friedens willen durch einen 
friedfertigen Handelsstaat von dem unruhigen Frankreich abgetrennt werden. 
So geschah es, daß die englischen Staatsmänner die Herstellung der 
Vereinigten Niederlande rührig wie eine britische Angelegenheit betrieben; 
sie zeigten noch mehr Eifer dafür als für die Vergrößerung des hanno- 
verschen Welfenreichs. Schon seit dem Frühjahr 1813 stand das Lon- 
doner Cabinet mit dem Prinzen von Oranien in Verbindung und suchte 
die europäischen Höfe von der Nothwendigkeit des oranischen Gesammt- 
staates zu überzeugen. In der diplomatischen Welt galt das neue König- 
reich so gänzlich als eine britische Schöpfung, daß man von jedem Land- 
striche, der an die Niederlande kam, kurzab zu sagen pflegte: „dies Gebiet 
wird englisch.“ Ein gewandter Kaufmann pflegt, wenn er den Käufer 
um die Hälfte des Preises übervortheilt, heilig zu betheuern, daß er nur 
aus persönlicher Verehrung für den Kunden den Handel schließe. So 
hat auch die englische Handelspolitik immer verstanden, ihre Absichten 
hinter großen Worten von Freiheit und Gleichgewicht zu verbergen. Sie 
wollte ihrem niederländischen Schützling die Hälfte seiner Colonien vor- 
enthalten; Lord Castlereagh aber erklärte stolz, sein Staat sei hochherzig 
bereit einen Theil seiner Eroberungen herauszugeben, er könne jedoch dies 
Opfer nur bringen, wenn die Niederlande auf dem Festlande vergrößert 
und also in den Stand gesetzt würden, den zurückgewonnenen Theil ihres 
Colonialreichs gegen Frankreich zu vertheidigen. England beraubte die 
Niederlande jenes überseeischen Besitzes, worauf ihre alte Machtstellung 
beruht hatte, und beanspruchte dann noch den Dank Europas für seine 
Großmuth. Das neue niederländische Reich war an arrangement for an 
European object; nur um die Rheinlande vor Frankreich zu sichern, 
sollte Deutschland wieder einige seiner alten Reichslande verlieren. Zu- 
gleich wurde mit begeisterten Worten der Heldenmuth der Holländer ge- 
priesen; Europa war verpflichtet den noble élan dieses Volkes zu be- 
lohnen. Das englische Märchen ward mit solcher ausdauernden Ernst- 
haftigkeit wiederholt, daß man im Großen Hauptgquartier schließlich daran 
glaubte und die Phrase von „Hollands Verdiensten um Europa“ in das 
Wörterbuch der Diplomatie aufnahm. 
Durch Bülow's Siegeszug kam der preußische Hof zum ersten male 
während dieses Krieges in die günstige Lage zu bieten, nicht bloß zu 
bitten; er konnte jetzt dem englischen Cabinet erklären, über diese durch 
Preußen mit eroberten Lande dürfe erst verfügt werden, wenn England
	        
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