Rühle von Lilienstern, vom Kriege. 589
Staatskanzler fühlte die Abnahme seiner Kräfte und hatte daher schon
im November 1813 das Finanzministerium seinem Vetter, dem Grafen
Bülow, übergeben. Am 3. Juni 1814 folgte eine umfassende Umgestal-
tung des Ministeriums. Hardenberg übernahm neben dem Staatskanzler-
amte die unmittelbare Leitung der auswärtigen Angelegenheiten; sein alter
Mitarbeiter von Franken her, Freiherr von Schuckmann, wurde Minister
des Innern; das neu gebildete Polizeiministerium ward dem Grafen Witt-
genstein übergeben, während der Minister von Kircheisen nach wie vor
das Justizdepartement behielt. An die Spitze der Kriegsverwaltung endlich
trat Generalmajor von Boyen, bisher Bülow's unzertrennlicher Waffen-
gefährte. Unter ihm leitete Generalmajor von Grolman den General-
stab und gab, rasch durchgreifend wie er war, dieser Behörde sogleich die
Verfassung, die ihr im Wesentlichen bis zum heutigen Tage geblieben ist.
Der Generalstab sollte nicht, wie in vielen anderen Heeren, eine selbständige
Waffengattung bilden, deren Mitglieder ihr für immer angehörten, son-
dern mit der praktischen Arbeit der Linientruppen in lebendiger Berüh-
rung bleiben; seine Offiziere traten nach einigen Jahren in die Linie ein
um je nach ihren Leistungen späterhin wieder zurückzukehren. Zugleich
berief der König eine Commission um die Grundlagen der gesammten
Heeresverfassung festzustellen; außer dem Kriegsminister gehörten ihr auch
Hardenberg, Gneisenau und Grolman an.
Darüber bestand unter den Generalen kaum ein Streit, daß jene
Cabinetsordre vom 27. Mai, welche die Exemtionen von der Wehrpflicht
wieder eingeführt hatte, nur ein Nothbehelf für den Augenblick gewesen
war, bestimmt den schreienden Mißständen der Volkswirthschaft zu be-
gegnen. Die Dienstpflicht Aller hatte sich glänzend bewährt; was die
Noth der Stunde geboren sollte jetzt zu einer dauernden Institution
des Staates werden. In solchem Sinne brachte Blücher an der Tafel
des Königs einen Trinkspruch auf Hardenberg aus; der Staatskanzler
habe den neuen Geist der Monarchie geweckt, also daß man heute in
Preußen nicht mehr wisse wo der Bürgerstand aufhöre und wo der Krieger-
stand. Noch stolzer forderte Gneisenau für sein Preußen das beste und
volksthümlichste Heerwesen der Welt, dazu die Freiheit gründlicher wissen-
schaftlicher Bildung und eine verständige, die Nation zu einem lebendigen
Ganzen vereinende Staatsverfassung: „der dreifache Primat der Waffen,
der Constitution, der Wissenschaft ist es allein, der uns zwischen den
mächtigeren Nachbarn aufrechterhalten kann.“
Nirgends aber fand der kühne politische Idealismus der Soldaten
des Befreiungskrieges einen edleren Ausdruck als in dem Buche des
Obersten Rühle von Lilienstern „Vom Kriege“. Die geistvolle Schrift,
die uns Rückschauenden heute wie das wissenschaftliche Programm der
modernen deutschen Heeresverfassung erscheint, widerlegte Kant's Lehre
vom ewigen Frieden und namentlich die ihr zu Grunde liegende Fiction