Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

54 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
in der Freiheit seiner europäischen Politik, sie gewährt ihm das Recht 
einzugreifen in die Geschicke des Reichs, darum will er den Fuß im 
Bügel des deutschen Rosses behalten. Noch weniger kommt ihm bei, 
selber nach der Kaiserkrone zu greifen. Seit den Weissagungen der Hof- 
astrologen des großen Kurfürsten blieb in der Umgebung der Hohenzollern 
immer die dunkle Ahnung lebendig, daß diesem Hause bestimmt sei der- 
einst noch Scepter und Schwert vom heiligen Reiche zu tragen; die 
Heißsporne Leopold von Dessau und Winterfeldt vermaßen sich zuweilen 
ihren königlichen Helden als den deutschen Augustus zu begrüßen. Der 
aber wußte, daß sein weltlicher Staat die römische Krone nicht tragen 
konnte, daß sie den Emporkömmling unter den Mächten in aussichtslose 
Händel verwickeln mußte, und meinte trocken: „für uns wäre sie nur 
eine Fessel." 
Als er kaum den Thron bestiegen, trat jene große Wendung der 
deutschen Geschicke ein, welche schon Pufendorf's Seherblick als die einzig 
mögliche Gelegenheit zu einer durchgreifenden Reichsreform bezeichnet hatte. 
Das alte Kaiserhaus starb aus, und vor den flammenden Blicken des 
jungen Königs, der die einzige fest geordnete Kriegsmacht Deutschlands 
in seinen Händen hielt, erschloß sich eine Welt von lockenden Aussichten, 
die einen minder tiefen, minder gesammelten Geist zu überschwänglichen 
Träumen begeistern mußte. Friedrich fühlte lebhaft den schweren Ernst 
der Stunde; „Tag und Nacht"“, so gestand er, „liegt mir das Schicksal des 
Reichs auf dem Herzen, ich allein kann und soll es jetzt aufrecht halten." 
Das stand ihm fest, daß dieser große Augenblick nicht verfliegen durfte, 
ohne dem preußischen Staate die volle Freiheit der Bewegung, einen 
Platz im Rathe der großen Mächte zu schenken; doch er ahnte auch, wie 
unberechenbar, bei der Begehrlichkeit der ausländischen Nachbarn, bei der 
rathlosen Zwietracht des Reichs, die Lage Deutschlands sich verwirren 
mußte, sobald die Monarchie der Habsburger in Trümmer fiel. Darum 
will er Oesterreich schonen und begnügt sich aus der Masse der längst 
bedachtsam erwogenen alten Ansprüche seines Hauses den einen wichtigsten 
hervorzuholen. Allein, ohne die lauernden fremden Mächte nur eines 
Wortes zu würdigen, in überwältigendem Ansturm bricht er in Schlesien 
ein. Das an die feierlichen Bedenken und Gegenbedenken seiner Reichs- 
juristen gewöhnte Deutschland empfängt mit Erstaunen und Entrüstung 
die Lehre, daß die Rechte der Staaten nur durch die lebendige Macht 
behauptet werden. Dann erbietet sich der Eroberer, dem Gemahl Maria 
Theresia's die Kaiserkrone zu verschaffen und für den Bestand Oester- 
reichs gegen Frankreich zu fechten. Erst der Widerstand der Hofburg 
treibt ihn weiter, zu umfassenden Plänen der Reichsreform, die an 
Waldeck's verwegene Träume erinnern. · 
Nicht Friedrich hat den deutschen Dualismus geschaffen, wie Mit— 
und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus bestand seit Karl V., und
	        
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