Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

646 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Ausstattung bedarf; darum unbeschränkte Souveränität für die deutschen 
Staaten, Achtung vor der individualité nationale der Sachsen, der 
Baiern und der anderen deutschen Völker; „dann wird eine freie und 
starke Conföderation die französischen Waffen auf immer von den Waffen 
Oesterreichs und Preußens trennen.“ 
Der Rheinische Mercur trat dem vollstimmigen Chor der Rhein— 
bündler tapfer entgegen und ward darum von den Journalisten Mont— 
gelas' der Thersites unter den deutschen Zeitschriften gescholten. Görres 
warnte in seiner bilderreichen Sprache vor den Basiliskeneiern des galli— 
schen Hahnes. Doch ein sicheres Verständniß der großen Machtfrage war 
selbst in diesen Kreisen nicht vorhanden. Der Mercur öffnete seine Spalten 
nicht nur den Freunden, sondern auch den gemäßigten Gegnern der preu— 
ßischen Ansprüche. Zu diesen zählte auch Jacob Grimm, der hochbeglückt 
durch die Rückkehr seines hessischen Kurfürsten den Sachsen die gleiche 
Freude nicht mißgönnen wollte. Ein gefühlvoller Artikel bat die Söhne 
Germaniens um Schonung für Sachsen, „den geistigeren Bruder, der 
allein studirt hat“ — als ob dieser Bruder nicht auch unter preußischer 
Herrschaft ungestört hätte weiter studiren können! Die literarische Ver— 
theidigung der preußischen Politik ward im Ganzen nur von solchen Män— 
nern geführt, welche der Regierung nahe standen. Auf Veranlassung des 
Staatskanzlers erschien eine Flugschrift von Varnhagen, oberflächlich wie 
Alles was dieser politische Dilettant in Staatssachen geschrieben hat, voll 
hohler Phrasen über „den Geist der Liberalität, der über Preußens Be— 
strebungen schwebt“. Ernster und würdiger sprachen Arndt, Eichhorn und 
J. G. Hoffmann. Die Schrift des wackeren Statistikers „Preußen und 
Sachsen“ giebt mit ihrer ruhig bescheidenen Haltung eine beredte Antwort 
auf die modischen Anklagen wider den preußischen Uebermuth. Niemals, 
sagt Hoffmann gelassen, sei Preußen so einstimmig von der deutschen Welt 
geschmäht worden wie in den Tagen der Stein-Hardenbergischen Gesetze; 
gleichwohl müsse das Gute in dem Staate doch wohl überwiegen, da die 
Nation für die Wiederaufrichtung eines so verrufenen Gemeinwesens so 
unvergeßliche Opfer gebracht habe. Die kühle und sachliche Darstellung 
der Schuld des gefangenen Königs erregte in Friedrichsfelde solche Er— 
bitterung, daß der sächsische Minister Graf Einsiedel sich erdreistete von 
der preußischen Regierung das Verbot der Hoffmann'schen Schrift zu ver— 
langen; selbstverständlich ward ihm seine Note zurückgegeben. 
Weitaus das bedeutendste Werk aus diesem Federkriege ist Barthold 
Niebuhr's Flugschrift „Preußens Recht wider den sächsischen Hof“ — wohl 
überhaupt die vornehmste Leistung der deutschen Publicistik aus jenem Zeit— 
raum, denn sie vereinigt Arndt's edle Leidenschaft und rhetorischen Schwung 
mit dem Gedankenreichthum und der politischen Sachkenntniß von Fried— 
rich Gentz. Wie frei und kühn entwickelt der große Historiker zwei Kern— 
gedanken unserer nationalen Politik, welche noch niemals früher mit solcher
	        
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