Italien. Orient. 665
Proteste verwahrte sich der römische Stuhl gegen die Schmälerung des
Kirchenstaates. Niemand achtete darauf. Das moderne Europa war be—
reits daran gewöhnt, daß alle seine großen Friedensschlüsse von den Ver—
wünschungen der Curie begleitet wurden. Dem preußischen Geschäftsträger
Piquot aber sprach der Nuntius den warmen Dank des Papstes aus
für das Wohlwollen, das der Staatskanzler der katholischen Kirche be—
wiesen habe.“)
Ueber die orientalischen Händel wurde keine Verständigung erzielt.
Nirgends zeigte sich so grell wie hier der trotz allem äußeren Glanze un-
verkennbare innere Verfall der österreichischen Monarchie. Derselbe Staat,
der einst, als die Osmanen mächtig waren, der Vorkämpfer der christlichen
Welt gegen den Islam gewesen, überließ jetzt, da die Pforte am Boden
lag, muthlos, blind für die Zeichen der Zeit, der russischen Politik die
Vollendung seines eigenen Werkes. Im Februar legte der Czar den
Mächten einen umfassenden Entwurf vor, wornach sie sich allesammt ver-
pflichten sollten für die Menschenrechte der Rajah einzutreten, Rußland
insbesondere als Protector der Orthodoxen, Oesterreich und Frankreich
als Beschützer der Lateiner. Es gebe, sagte die russische Note, ein unge-
schriebenes Gesetzbuch des Völkerrechts, das in voller Kraft bestehe und
allen Völkern Gleichheit der Rechte verbürge. Entrüstet wies Metternich
den revolutionären Vorschlag zurück. Doch ebenso wenig war der Czar
geneigt die von der Hofburg gewünschte Bürgschaft für den Bestand der
Türkei zu übernehmen; selbst England wollte sich nicht mit einer so un-
berechenbar schweren Verpflichtung belasten. So geschah es, daß in Wien
über die Türkei gar nichts beschlossen, die orientalische Frage stillschweigend
zu den vielen anderen ungelösten Aufgaben des Congresses gelegt wurde.
Gleichzeitig mit den Berathungen der Großmächte erledigte Hardenberg
noch eine überaus verwickelte diplomatische Arbeit: die Abrechnung mit
Hannover, Schweden und Dänemark. Diese durch viele Monate hinge-
zogenen dreifachen Verhandlungen zeigen in ihrem sonderbar verschlungenen
Zusammenhange sehr anschaulich, welchen weiten Horizont der Blick der
preußischen Staatsmänner umfassen mußte, wie nahe unser Staat, Dank
seiner centralen Lage, selbst durch die entlegensten Händel des Welttheils
berührt wurde; und sie haben dem Vaterlande einen bleibenden Gewinn
gebracht: die Befreiung Pommerns von den letzten Resten der Fremdherr-
schaft. Trotz des Kieler Friedens, der die Lande nördlich der Peene an
Dänemark gab, blieb der Staatskanzler unerschütterlich bei seinem Plane,
Vorpommern und Rügen für Preußen zu erwerben; jener harte Kampf,
den die Hohenzollern fast zweihundert Jahre hindurch mit der Feder und
dem Schwerte um ihr altes Erbe geführt, sollte für immer beendigt werden.
Doch wie wollte man den rechtmäßigen Eigenthümer, Dänemark, zur Ab-
*) Piquot's Bericht, Wien 29. Sept. 1814.