Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

690 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Tage, da Württemberg ausschied, eine förmliche Verwahrung, welche dem 
Großherzog alle Rechte der unbeschränkten Souveränität vorbehielt. Die 
bonapartistische Gesinnung des Ministers von Hacke verschmähte die ge- 
hässigsten Worte nicht: nicht darum habe sein Großherzog fremde Ketten 
abgestreift um vielleicht eigene zu tragen. Gagern aber versammelte die 
Vertreter der meisten Kleinstaaten, von Kurhessen abwärts, um sich und 
stellte ihnen die Nothwendigkeit, den Großen „fühlbar zu machen, daß 
wir da sind und unser Handwerk wohl verstehen.“ Eine überaus gemischte 
Gesellschaft fand sich hier zusammen: ehrliche, einsichtige Patrioten wie 
Smidt und der Mecklenburger Plessen, verstockte Particularisten wie der 
Nassauer Marschall, endlich Phantasten wie Gagern selber, der nicht die 
rheinbündische Gesinnung Baierns und Württembergs fürchtete, sondern 
„die verhüllte Zweiherrschaft" Oesterreichs und Preußens. Manche der 
Theilnehmer bestimmte lediglich die Eifersucht gegen die Mediatisirten; sie 
wollten sich nicht überbieten lassen von diesen Entthronten, die als conse- 
quente Legitimisten für alle Kleinodien aus des heiligen Reiches Rumpel- 
kammer sich begeisterten und den Kaiser Franz mit Bitten um die Wieder- 
annahme der Karolingerkrone bestürmten. Einig waren die Kleinstaaten 
vorderhand nur in dem Wunsche die Fünfherrschaft zu brechen. 
Immerhin zeigten die kleinen Höfe auch diesmal, wie so oft in der 
älteren Reichsgeschichte, doch etwas mehr vaterländischen Sinn als die 
Mittelstaaten; mehrere unter ihnen wünschten, im Bewußtsein der eigenen 
Ohnmacht, ernstlich eine starke Reichsgewalt, die sie gegen den Ehrgeiz der 
größeren Nachbarn beschützen sollte. Daher entschloß sich Stein diese klein- 
fürstliche Opposition für seine patriotischen Zwecke zu benutzen; er schob 
den vielgeschäftigen Gagern geschickt zur Seite und bewog den Verein der 
neunundzwanzig kleinen Fürsten und Städte am 16. November, an dem- 
selben Tage, da Württemberg ausschied, den beiden führenden Mächten 
eine Collectivnote zu überreichen. Darin wurden Oesterreich und Preußen 
gebeten, sämmtlichen deutschen Staaten einen neuen Verfassungsplan „auf 
der Basis gleicher Rechte und einer vollständigen Repräsentation aller 
Bundesglieder“ vorzulegen; an die Spitze des Bundes aber müsse ein 
Kaiser „als teutscher Freiheit Aegide“ treten. So luftig und unklar dieser 
Kaiserplan erschien und so gewiß mehrere der Unterzeichner den Kaiser- 
gedanken lediglich als einen frivolen Vorwand gebrauchten um nur der 
Fünfherrschaft ledig zu werden, ebenso gewiß enthielt die Erklärung der 
Kleinstaaten einige ehrenwerthe bestimmte Zugeständnisse: sie erboten sich 
namentlich, den Landtagen ein von Bundeswegen festzustellendes Minimum 
landständischer Rechte zu gewähren. 
Also zugleich von Innen und Außen angegriffen brach die deutsche 
Pentarchie zusammen. Einige Monate lang bestand gar kein deutscher Ver- 
fassungsausschuß mehr. Der Boden war frei für willkürliche Pläne jeder 
Art; Gagern und Plessen sprachen bereits von einem Bunde der Mittel-
	        
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