Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

720 II. 2. Belle Alliance. 
Land bis auf das letzte Dorf hatte räumen müssen. Der legitime Herrscher 
saß als ein Fürst ohne Land in Gent, jetzt gänzlich unter dem Einfluß 
der racheschnaubenden Emigrantenpartei; der geächtete Störer der öffent— 
lichen Ruhe aber zeigte seinen gekrönten Herren Brüdern in friedfertigen 
Briefen die unblutige Unterwerfung Frankreichs an und erbot sich sofort 
den Pariser Vertrag anzuerkennen. Die Lage war mit einem Schlage 
verändert, und die grollenden Whigs im Parlamente säumten nicht sie 
auszubeuten: Whitebread und Burdett fragten in donnernden Reden, 
ob England von Neuem bluten solle um einem freien Volke eine Regie- 
rung aufzuzwingen, eine Dynastie, deren haltlose Schwäche sich so kläglich 
offenbart habe? 
Die Tory-Regierung fühlte, daß sie die Opposition beschwichtigen 
mußte, und ließ daher in Wien erklären: der Prinzregent genehmige 
zwar den Vertrag vom 25. März und werde Alles aufbieten um Buona- 
parte zu bekämpfen, doch könne er sich nicht verpflichten den Franzosen 
eine bestimmte Regierung aufzuerlegen. Oesterreich, Preußen und Ruß- 
land erkannten am 9. Mai diese Auslegung des Vertrags als wohlbe- 
gründet an und behielten sich ebenfalls freie Hand vor gegenüber der künf- 
tigen Regierung Frankreichs. Sodann entspann sich in dem Comité der 
acht Mächte eine langwierige Berathung über die Frage: ob nicht in 
Folge der thatsächlichen Erfolge und der friedfertigen Zuschriften Buona- 
parte's eine neue veränderte Erklärung geboten sei. Talleyrand hatte die 
Stirn, den Verbündeten den Entwurf eines Manifestes vorzulegen, worin 
sie bescheiden versicherten: Europa kämpfe ebenso sehr für Frankreich als 
für seine eigene Sicherheit und werde die Waffen nach der Entthronung 
Buonaparte's augenblicklich niederlegen.) Aber auf solche Zumuthungen 
wollte sich Niemand mehr einlassen. Die zur Erwägung der Frage ein- 
gesetzte Commission gelangte zu dem Schlusse, daß die Betheuerungen 
des Usurpators keinen Glauben verdienten; sie behauptete in sehr ge- 
mäßigten Worten: das Recht einer Nation ihre Regierungsform zu ver- 
ändern sei nicht schrankenlos, sondern den Nachbarstaaten stehe die Befugniß 
zu sich gegen den gemeingefährlichen Mißbrauch dieses Rechtes zu ver- 
wahren; sie erinnerte an die allbekannte Thatsache, daß die Alliirten dem 
besiegten Frankreich nur unter der ausdrücklichen Bedingung der Ent- 
thronung des corsischen Friedensstörers einen milden Frieden gewährt 
hätten, und erklärte scharf und treffend: „die förmliche Zustimmung der 
französischen Nation zu der erneuten Thronbesteigung Buonaparte's würde 
einer Kriegserklärung gegen Europa gleichkommen.“ Diese förmliche Zustim- 
mung der französischen Nation zu dem Gewaltstreiche des Usurpators er- 
folgte in der That, fast im nämlichen Augenblicke da der Commissionsbericht 
  
) Correspondence inédite de Talleyrand et de Louis XVIII. Paris 1881. 
p. 383.
	        
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