Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Zwiespalt der Coalition. 721 
(am 12. Mai) dem Comitée der Acht vorgetragen wurde. Die napoleonische 
Zusatzacte ward der Nation zur allgemeinen Abstimmung vorgelegt; mehr 
als 1¼ Millionen Stimmen erklärten sich dafür, kaum 5000 wagten 
zu widersprechen, die große Mehrzahl hielt sich fern, ließ willenlos Alles 
über sich ergehen. Damit hatte das französische Volk die Thronrevolu- 
tion unzweifelhaft anerkannt, und für die acht Mächte ergab sich, nach 
den eigenen Worten ihrer Commission, die Nothwendigkeit, nunmehr die 
frühere, allein gegen die Person Buonaparte's gerichtete Declaration fallen 
zu lassen und dem Staate Frankreich, wie er sich jetzt thatsächlich neu 
gestaltet hatte, den Krieg zu erklären. Aber dieser allein richtige Schluß 
ward nicht gezogen, da die Absichten der verbündeten Mächte sehr weit 
auseinander gingen. 
Jene salbungsvolle Versicherung der Torys, England wolle den Fran- 
zosen nicht eine bestimmte Regierung aufzwingen, war keineswegs ehrlich 
gemeint, sondern lediglich ein parlamentarischer Schachzug. Die starr 
legitimistische Gesinnung des Tory-Cabinets änderte sich nicht; in seinen 
Augen war und blieb der König ohne Land der rechtmäßige Beherrscher 
von Frankreich, und Europa war selbstverständlich verpflichtet, durch einen 
royalistischen Kreuzzug den legitimen König wieder auf den Thron seiner 
Väter zurückzuführen, damit England als der hochherzige Beschützer der 
dankbaren Bourbonen den herrschenden Einfluß in den Tuilerien erhielte. 
In solchem Sinne wiederholte Wellington beständig: „Frankreich hat keine 
Feinde; dieser Krieg ist ein Krieg Europas, Frankreich mit eingeschlossen, 
gegen Buonaparte und sein Heer.“ Darum durfte auch Niemand irgend 
welche Gebietsforderungen an Frankreich stellen. Voll hoher sittlicher 
Entrüstung, behaglich auf ihre wohlgefüllten Taschen klopfend, sprachen 
die Torys über die preußische Armuth und Habgier; ihr Neid gegen 
Deutschland trat so gehässig hervor, daß selbst die Gutherzigkeit der preu- 
hischen Patrioten jetzt endlich über den wahren Charakter der britischen 
Handelspolitik in's Klare kam und Mancher, der seit Jahren ein glühender 
Bewunderer der englischen Hochherzigkeit gewesen, nunmehr sein Urtheil 
berichtigte. Aber wie beschränkt, heuchlerisch, engherzig die Politik der 
Torys auch erschien, sie allein unter den Verbündeten wußten genau was 
sie wollten und verfolgten ihr Ziel mit hartnäckiger Ausdauer. 
In der Hofburg fehlte es nicht an fanatischen Legitimisten, die in 
das englische Horn bliesen. Adam Müller fand es ganz unbestreitbar, 
daß Ludwig XVIII. nunmehr schon seit vierundzwanzig Jahren regiere 
und Buonaparte nur ein Rebell sei; sonst würde ja das göttliche Recht 
aller Throne geleugnet und „das lächerliche Recht der Völker, eine Art 
von Willen zu haben, anerkannt!“ Metternich selbst dachte nüchterner, 
er hegte keine Vorliebe für die Bourbonen, und behielt sich vor, nach den 
Umständen zu handeln; aber da seine ruheselige Natur jede zweifelhafte 
Neuerung verabscheute und die Verträge von Paris und Wien ihm als 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 46
	        
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