Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Der Rath der vier Mächte. 775 
Gentz sprach von vorn herein mit giftigem Hohne über „die engherzigen 
Anschauungen“ der Preußen, die aus dem Kampfe gegen die Revolution 
selbstsüchtig Vortheil ziehen wollten. Der von Stein und seinen Freunden 
aufgeworfene Vorschlag, das Elsaß dem Erzherzog Karl zu geben, steigerte 
nur den Widerwillen des Kaisers Franz, der gegen diesen Bruder stets 
ein tiefes Mißtrauen hegte. 
Zwischen den beiden Nebenbuhlern Rußland und England entspann 
sich nun ein stürmischer Wettlauf um den Preis der Großmuth; beide 
hofften sich für die drohende orientalische Verwicklung die Freundschaft 
Frankreichs zu sichern. Bei den Briten wirkte auch noch die Erinnerung 
an das Bündniß vom 3. Januar und die damals begründete entente 
cordiale mit, vor Allem aber die den Hochtorys eigenthümliche geistige 
Beschränktheit. Zu großen Gesichtspunkten der festländischen Politik ver- 
mochten sich diese Insulaner nicht zu erheben; Castlereagh sprach unbe- 
fangen aus: „wenn man für fünf oder sieben Jahre Vorsichtsmaßregeln 
ergriffe, so sei das Höchste geschehen, was die Diplomatie leisten könne."“ 
Die Sieger beschlossen, die Unterhandlung mit der Krone Frankreich erst 
dann zu beginnen, wenn sie sich unter einander geeinigt hätten. Das 
unglückliche Land lag waffenlos zu den Füßen der Eroberer. Ueberall 
die Raserei des Parteihasses; in Paris tiefer Groll gegen den König, den 
Schützling der Fremden; im Süden begann schon der Bürgerkrieg, der 
wüthende Kampf des „weißen Schreckens“. Ueberdies wurden die Trümmer 
der napoleonischen Armce eben jetzt, auf Alexander's Rath, aufgelöst, weil 
der Czar den Verbündeten beweisen wollte, daß ihnen kein Feind mehr 
gegenüberstehe, daß die Stunde des Vergebens gekommen sei. Das Land 
war außer Stande den Bedingungen der Sieger irgend welchen Wider- 
stand entgegenzustellen. Um so schwerer hielt die Verständigung zwischen 
den Siegern selbst. So glatt und leicht die Verhandlungen über den ersten 
Pariser Frieden verlaufen waren, ebenso stürmisch gestaltete sich diesmal 
die Berathung. Zwei volle Monate lang führten die preußischen Staats- 
männer den diplomatischen Kampf gegen das gesammte Europa, bis sie 
endlich nachgeben mußten und dann, nach der cigentlichen Entscheidung, 
die Friedensverhandlung mit Frankreich eröffnet wurde. 
Schon am 15. Juli hatte Castlereagh die Grundsätze aufgestellt, von 
denen die Verbündeten ausgehen sollten"): „das Ansehen König Ludwig's 
entehren oder schwächen heißt in der That die eigene Macht der Verbün- 
deten verringern.“ Es ist auch die Pflicht der Mächte, die Nation mit 
echsicht und Versöhnlichkeit zu behandeln, dagegen den König bei der 
Neubildung des Heeres und der Unterdrückung der Verschwörer zu unter- 
stützen. Im schärfsten Gegensatze zu dieser Ansicht, welche die Sieger 
von Belle Alliance in der That nur als die ergebene Polizeimannschaft 
  
*) Castlereagh's Memorandum v. 15. Juli 1815.
	        
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