Rußland und England gegen Preußen. 779
Zustand der Eroberung vorhanden sei; wie Frankreich büßen müsse, was
Frankreich verschuldet; wie den Verbündeten zwar das Recht der eigenen
Sicherung zustehe, aber nicht unzweifelhaft das Recht der Einmischung
in Frankreichs innere Angelegenheiten; möge man den Franzosen sogleich
nehmen, was zur militärischen Deckung ihrer Nachbarn unentbehrlich sei,
dann aber dem Lande alsbald seine Unabhängigkeit zurückgeben, denn
Preußen wisse aus eigener Erfahrung, daß nichts ein Volk tiefer erbittere
als die Anwesenheit fremder Truppen in Friedenszeiten; wolle Europa
die Franzosen unter seine Vormundschaft nehmen, so werde die Revolution
niemals endigen. Gleichzeitig begründete Hardenberg nochmals seine
Forderungen in einer ausführlichen Denkschrift (vom 4. August), erwies,
wie Frankreich schon seit Ludwig XIV. seine natürlichen Vertheidigungs-
linien überschritten habe und eben durch den Besitz dieser Außenposten
zu immer neuen Eroberungskriegen verlockt worden sei. Auch Knesebeck
schloß sich an, diesmal ganz nüchtern und ohne doctrinäre Wunder-
lichkeiten; er hob hervor, daß selbst ein Friedensschluß von übertriebener
Milde keine Sicherheit gebe für die Dauer der bourbonischen Herrschaft,
denn niemals würde das französische Volk die Niederlage in Brabant
verzeihen.
Mittlerweile kam, auf Hardenberg's Einladung, auch Stein nach
Paris. Der Freiherr verlebte unterwegs einige Tage am Rhein mit
Goethe gemeinsam, und der treue Arndt beobachtete mit stiller Rührung,
wie die beiden besten Söhne des Vaterlands einander so freundlich
forschend mit ihren großen braunen Augen ansahen, Jeder bemüht die
räthselhafte Eigenart des Anderen behutsam zu schonen. In Paris bot
Stein alle seine Beredsamkeit bei dem Czaren auf, widerlegte in einer
bündigen Denkschrift (vom 18. August) die russische Behauptung, daß
Frankreich der Verbündete seiner Besieger sei: ist Frankreich unser Freund,
warum halten wir dann das Land besetzt und schreiben Lieferungen aus?
Er schloß mahnend: „England und Rußland sollen nicht glauben, es sei
ihr Vortheil Deutschland beständig in einem Zustande von Aufregung
und Leiden zu belassen.“ Aber was wog jetzt Stein's Wort neben den
Thränen und Gebeten der Frau von Krüdener und der Frau von Lezay-
Marnesia? Die Blitze seiner Rede drangen nicht mehr durch den dicken
Nebel der Weihrauchswolken, welche den Czaren im Hotel Montchennu
umgaben. Und wenn Stein nicht mehr galt, was vermochten vollends
die Vertreter der Mächte zweiten Ranges? Der bairische Gesandte Rech-
berg hielt sich vorsichtig zurück, weil Baiern für seine eigenen Vergrö-
ßerungswünsche der Hilfe Oesterreichs bedurfte. Die Badener traten
sehr bescheiden auf, schilderten in beweglichen Eingaben den unhaltbaren
Zustand an ihrer Rheingrenze — wie soeben erst die Franzosen von
Straßburg aus versucht hätten eine Brücke auf das deutsche Ufer zu
schlagen — verlangten zum Mindesten das alleinige Eigenthum an der