Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Rottecks Weltgeschichte. 101 
Reden, mit rechter Herzensfreude schrieb er auf eines seiner Bücher die 
Widmung: „allen edlen Bürgern Freiburgs anspruchslos und liebend der 
Verfasser.“ Wenn der kleine schlichte Mann des Nachmittags nach den 
Kollegien rüstig auf die Vorhöhen des Schwarzwaldes zu seinem kleinen 
Rebgute, dem Schönehof hinaufstieg und von droben die liebliche Tal— 
bucht mit dem stolzen Münsterturme überblickte, dann meinte er die Perle 
Deutschlands zu schauen; und als dies herrliche Land nun gar noch mit 
der ersehnten vernunftgemäßen Verfassung gesegnet wurde, da konnte er 
nur noch mit Geringschätzung an den fernen Norden denken, den er nach 
Landesart natürlich nie betreten hatte, und fragte stolz: ob sich wohl das 
lichte Rheinland bei politischen Rechten beruhigen könne, die allenfalls für 
das finstere Pommern genügten? Wie die Schwaben in Uhland, so er- 
kannten die badischen Alemannen in ihrem Rotteck alle Züge ihres eigenen 
Wesens wieder: ihren tapferen Freimut, ihren demokratischen Trotz, ihre 
josephinische Aufklärung, aber auch ihre kleinstädtische Beschränktheit, ihre 
naive Unkenntnis aller politischen Machtverhältnisse und die Selbstgefäl- 
ligkeit ihres harmlosen Partikularismus. „Dann gehen wir eben zum 
Rotteck“ — hieß es unter den Schwarzwälder Bauern, wenn die Be- 
schwerden bei den Beamten nichts halfen. 
Rottecks Ansehen bei den Mittelklassen war zuerst durch seine Welt- 
geschichte begründet. Das Buch erschien seit dem Jahre 1812, und mit 
jedem neuen Bande stieg der Absatz; in manchem kleinstädtischen Bürger- 
hause des Südens bestand der ganze Bücherschatz aus der Bibel, dem 
Gebetbuch und dem Rotteck. Was konnte auch dem tief verstimmten und 
doch politisch völlig ratlosen Völkchen der Kleinstaaten willkommener klingen 
als die selbstgefällige Trivialität dieser Geschichtsweisheit, die von dem 
notwendigen Werden des historischen Lebens gar nichts ahnte, sondern 
alles Mißgeschick der Völker einfach aus der Bosheit und der Verblen- 
dung der Regierenden ableitete und geradezu aussprach, ihr höchstes Ziel 
sei „der jetzt mit Macht sich erhebenden und durch solche Erhebung Heil 
verheißenden öffentlichen Meinung zu entsprechen"“. Der dürre Ratio- 
nalismus der Geschichtschreibung des alten Jahrhunderts verschmolz sich 
mit den Parteileidenschaften des neuen Zeitalters. Rotteck betrachtete den 
Staat — er wußte es nicht anders — grundsätzlich nur von unten, mit 
den Augen der Regierten; niemals verfiel er auf die Frage, wie sich die 
menschlichen Dinge von oben her ausnehmen, welche Gedanken die Tätig- 
keit der Regierenden bestimmten und welche Hemmnisse sie zu über- 
winden hatte. Jeder Fürst, jeder Machthaber schien ihm verdächtig. Selbst 
im persönlichen Verkehr mochte der eingefleischte Bürgersmann die vor- 
nehmen Leute nicht leiden, der Anblick einer Uniform oder eines Ordens- 
kreuzes war ihm unbehaglich; sogar Blücher — so gesteht er selbst in 
seinen Briefen — gefiel ihm nicht mehr recht seit der alte Held den Fürsten- 
titel führte.
	        
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