Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Isterreich und Rußland. 125 
päischen Minister hätten sich noch nicht genugsam von ihren veralteten, 
kleinmütigen Ideen befreit, weil die gereinigte Moral des Evangeliums 
nicht zu ihrem Herzen spräche. Daher ihr Mißtrauen gegen Rußland; 
heute aber bestehe, nach dem Ratschluß der göttlichen Vorsehung, die Herr- 
schaft der öffentlichen Meinung, begründet auf Wahrheit und Gerechtigkeit. 
Derweil die Hofburg also vor den geheimen Plänen des Zaren 
zitterte, war sie selber von aufrichtiger Friedensliebe beseelt. Wie wun- 
derbar war doch dies alte Osterreich nach so vielen Niederlagen und Ver- 
lusten wieder zu einer Machtfülle aufgestiegen, die an die Tage Wallen- 
steins erinnerte; selten hatte ein Staat beim Ausgange eines Weltkrieges 
sich so ganz am Ziele aller seiner Wünsche befunden. Metternich durfte 
sich rühmen, wie viel er selbst durch kluges Aufsparen und rechtzeitiges 
Einsetzen der Kräfte des Reichs zu diesem glänzenden Erfolge beigetragen; 
und da er schon in seinen jungen Jahren stets alles vorausgesehen und 
vorausgesagt haben wollte, so steigerte sich jetzt sein Selbstgefühl zu uner- 
meßlichem Dünkel. Die ganze neue Ordnung der europäischen Dinge 
erschien ihm als sein persönliches Werk, die Erhaltung dieser Ordnung 
als die einzige Aufgabe seines Lebens, da er selbst wie sein Staat bei jeder 
Anderung nur verlieren konnte. Die tiefe Unwahrhaftigkeit seines Geistes 
erleichterte ihm, sich die Tatsachen zurecht zu legen; die Bilder der Ver- 
gangenheit verschoben sich vor seinen Blicken, und bald sah er in der Ge- 
schichte des letzten Menschenalters ein ungeheures Gewirr von Torheit 
und Verbrechen: nur er, er allein war inmitten der allgemeinen Betö- 
rung immerdar frei geblieben von Leidenschaft, frei von Irrtum und vor 
allem, wie er gern hervorhob, ganz frei von Eigenliebe. Voll Verachtung 
sprach er über „die Politiker von dem Schlage eines Richelieu und Mazarin“. 
Die fremden Diplomaten bemerkten jetzt schon, wie schwer es hielt ein 
geschäftliches Gespräch mit ihm zu führen; in langen lehrhaften Vorträgen 
pflegte er den andächtig Lauschenden seine untrügliche Meinung zu ent- 
wickeln. Eintönig, salbungsvoll, breit und hochtrabend verkündeten seine 
Briefe und Depeschen in unzähligen Umschreibungen immer nur den einen 
Gedanken der Erhaltung des Bestehenden. Und doch verbarg sich hinter 
der stolzen Zuversicht die stille Angst: Metternich fürchtete den Krieg, weil 
er die Schwäche des vernachlässigten österreichischen Heerwesens kannte, er 
fürchtete mehr noch die Revolution. Nicht als ob er jemals die Vortreff- 
lichkeit des Systemes, das den beiden großen Völkern Mitteleuropas die 
Adern unterband, irgend bezweifelt hätte; aber er sah die Partei des Um- 
sturzes, die ihn sein Lebelang geängstigt, noch immer im Dunkeln schleichen, 
er sah sie bereit den Feuerbrand in sein kunstvolles Gebäude zu schleudern; 
und wie er immer des Glaubens blieb, daß der Tugendbund das preußische 
Heer von langer Hand her aufgewiegelt habe, so beobachtete er schwer be- 
sorgt die Parteikämpfe in Frankreich, die krampfhaften Regungen des Na- 
tionalgefühls in Deutschland und Italien; er vernahm mit Entsetzen, wie
	        
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