Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

6 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
Sicherer als Arndt durchschaute Hegel den Geist der Zeit, da er 
sagte: die Nation hat sich aus dem Gröbsten herausgehauen, sie kann sich 
nun wieder nach Innen, zum Reiche Gottes wenden. Die mächtigen 
Akkorde, welche das Zeitalter unserer klassischen Dichtung angeschlagen, 
hallten noch fort; noch waren die reichen Schachte, die sich seit zwei Men— 
schenaltern der geistigen Arbeit der Nation erschlossen hatten, keineswegs 
erschöpft. Der Ehrgeiz dieses durchaus unpolitischen Geschlechts trachtete 
noch immer, unbekümmert um alle Prosa des äußeren Lebens, fast allein 
nach den Kränzen des Reiches der Geister. Seinen besten Männern er— 
schien die Zeit der napoleonischen Kriege bald nur wie eine Episode, wie 
ein Hagelschauer, der über den blühenden Garten deutscher Kunst und 
Wissenschaft dahingebraust war. Wie die kleinen Leute wieder zur Pflug— 
schar griffen, so nahmen die Gebildeten die Feder wieder auf, doch nicht 
wie jene mit stiller Entsagung, sondern mit dem frohen Bewußtsein, sich 
selber und ihrem eigensten Leben wieder anzugehören. Wunderbar grell 
trat jener innere Widerspruch hervor, der sich seit dem Aufblühen der 
neuen Literatur in dem Charakter unseres Volkes herausgebildet hatte: 
diese tapferen Germanen, die schon in den Sagen ihrer heidnischen Urzeit 
beständig von Krieg und Sieg geträumt und seitdem in jedem Jahrhun- 
dert die Welt mit dem Schalle ihrer Schwerter erfüllt hatten, schätzten 
den kriegerischen Ruhm niedriger als irgend ein anderes Volk; sie lebten 
des Glaubens, Deutschlands schärfste Waffen seien seine Gedanken. 
Das Jahrzehnt nach Napoleons Sturz wurde für den ganzen Welt- 
teil eine Blütezeit der Wissenschaften und Künste. Die Völker, die 
soeben noch mit den Waffen aufeinander geschlagen, tauschten in schönem 
Wetteifer die Früchte ihres geistigen Schaffens aus; nie zuvor war Europa 
dem Ideale einer freien Weltliteratur, wovon Goethe träumte, so nahe 
gekommen. Und in diesem friedlichen Wettkampfe stand Deutschland allen 
voran. Welch eine Wandlung der Zeiten seit jenen Tagen Ludwigs XIV., 
da die Kultur unseres Volkes bei allen anderen Nationen des Abendlandes 
demütig in die Schule gehen mußte! Jetzt huldigte die weite Welt dem 
Namen Goethes. Die winkligen Gastzimmer im Erbprinzen und im Adler 
zu Weimar wurden nicht leer von vornehmen Engländern, die den Fürsten 
der neuen Dichtung besuchen wollten. In Paris genoß Alexander Hum- 
boldt eines Ansehens, wie kaum ein einheimischer Gelehrter; wenn ein 
Fremder in den Mietwagen stieg und die Hausnummer des großen Rei- 
senden nannte, dann griff der Kutscher achtungsvoll an den Hut und 
sagte: ah che: Mr. de Humboldt! Und da Niebuhr als preußischer 
Gesandter nach Rom kam, wagte ihm niemand in der Weltstadt den 
Ruhm des ersten Gelehrten zu bestreiten. 
Von unserem Staate, von seinen Waffentaten sprach das Ausland 
wenig. Allen fremden Mächten kam das plötzliche Wiedererstarken der 
Mitte des Weltteils ungelegen, sie alle bemühten sich wetteifernd den
	        
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