138 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
Mittlerweile hatte Graf Buol die Abwesenheit seines preußischen
Amtsgenossen geschickt benutzt und den Samen der k. k. Bundesgesinnung
auf dem dankbaren Frankfurter Boden reichlich ausgestreut. Die kleinen
Gesandten berichteten mit Entzücken, wie herablassend der Osterreicher auf-
trat: nicht einmal ein primus inter pares wollte er heißen, nur ein ser-
Vvus servorum! Noch erfreulicher war die beglückende Gewißheit, daß
Osterreich an eine Umgestaltung und Erweiterung des übereilten Ver-
fassungswerkes nicht im entferntesten dachte. Die Bundesakte ist wie die
Bibel, meinte Buol, man darf sie nur auslegen, nie verändern. Der
badische Gesandte Berstett, ein behäbiger Herr, der sich aus dem Frankfurter
Frondienste oftmals nach Paris und dem üppigen Tische der Frères Pro-
vencaux zurücksehnte, schrieb befriedigt nach Hause: Niemand wagt mehr
an dies Meisterwerk zu rühren; die Bundesakte wird als ein Heiligtum
betrachtet, namentlich von den kleineren Staaten.) Mehrere der Mittel-
staaten zeigten sich von Haus aus entschlossen, dem Bundestage niemals
eine ernsthafte Wirksamkeit zu gestatten. Der König von Württemberg er-
klärte jetzt nachträglich seinen Beitritt zum Bunde mit der ausdrücklichen
Bemerkung, die letzte Hälfte der Bundesakte scheine für den Zweck des
Bundes nicht erforderlich. Ahnliche Gesinnungen hegte der hessische Kur-
fürst; ihn vertrat in Frankfurt sein Günstling Buderus von Carlshausen,
ein anrüchiger Geizhals, der sich das Vertrauen seines Herrn durch kunst-
volle Ausnutzung der Heller-Brüche in den Rechnungen der kurfürstlichen
Kriegskasse erworben hatte. Auch von den meisten anderen Gesandten konnte
Berstett mit Genugtuung melden, sie seien allesamt darin einig, nicht
einmal den Schein eines gefährlichen Einflusses zu dulden; wenn Oster-
reich und Preußen mit Plänen für das Bundesheerwesen hervorträten,
so solle man nur sogleich irgend ein Gegenprojekt aufstellen, denn „dessen
Unausführbarkeit muß erst bewiesen werden, bevor man es verwerfen
kann.“““) Niemand aber verstand die Gedanken des verstockten Partikula-
rismus so urkräftig auszusprechen wie der nassauische Gesandte Freiherr
von Marschall; der schaltete daheim als allmächtiger Minister mit rhein-
bündischer Beamtenwillkür und kam gelegentlich auf seinen Frankfurter
Posten herüber um die schwachen Gemüter durch sein despotisches Ge-
baren und plumpes Schelten wider die deutschtümelnden Demagogen
aufzurichten.
Die Hintergedanken dieser Höfe verrieten sich sogleich, als man er-
fuhr, daß England und Rußland beabsichtigten, ihre bei der Territorial=
kommission beschäftigten Diplomaten als Gesandte beim Bundestage zu
beglaubigen. Alle Welt wußte, daß dieser Bund ohne Haupt keine aus-
wärtige Politik treiben, höchstens in Notfällen einmal einen Gesandten in
—. —
*) Berstetts Berichte, 16., 18. Dezember 1815.
*) Berstetts Bericht, 12. November 1816.