Die Partikularisten am Bundestage. 139
das Ausland senden konnte; sollte er gleichwohl die regelmäßige Anwesen-
heit fremder Diplomaten ertragen? Unterdessen war bereits Graf Rein—
hard als französischer Gesandter bei dem noch uneröffneten Bundestage
eingetroffen. Der geistreiche Deutsch-Franzose zählte zu jenen seltsamen,
aus Idealismus und halb unbewußter Verlogenheit gemischten Charakteren,
wie sie das heimatlose Leben der alten deutschen Kleinstaaterei so häufig
erzog. Im Grunde des Herzens blieb er immer der gelehrte schwäbische
Theolog und folgte mit freudigem Verständnis den kühnen Flügen des
deutschen Genius; er glaubte wirklich als ein guter Deutscher zu handeln,
da er einst im Dienste Napoleons die Rheinbundsstaaten überwachte, und
trug jetzt wieder kein Bedenken, im Namen des Allerchristlichsten Königs
gegen das siegreiche Deutschland eine Sprache zu führen, die an die Zeiten
Ludwigs XIV. erinnerte. In einer an die Bundestagsgesandten ver—
teilten Denkschrift fragte er höhnisch: ob der Deutsche Bund etwa auf
alle auswärtigen Beziehungen verzichten wolle, wie einst die Türkei oder
der Konvent unter Robespierre? Welch ein unbilliges Vorrecht für die
fremden Mächte OÖsterreich, Preußen, England, Niederland, Dänemark,
wenn sie am Bundestage vertreten sein sollten und die übrigen Mächte
nicht! Ein Deutscher Bund ohne regelmäßigen Verkehr mit dem Aus-
lande wäre nichts anders als ein neuer Rheinbund, da dann Deutschlands
auswärtige Politik allein in Wien und Berlin entschieden werden müßte.
„Die Anwesenheit der fremden Gesandten in Frankfurt wird dazu bei-
tragen, daß der Bund in dem wahren Geiste der Bundesakte gehandhabt
wird.“ Zuletzt forderte Reinhard seine Zulassung kurzweg als ein Recht;
denn sollte man in Frankfurt dereinst beschließen, die Bundesakte „durch
eine bessere Ordnung der Dinge zu ersetzen", so wären alle europäischen
Mächte befugt bei dieser Anderung der Wiener Verträge mitzuwirken!
Der Franzose wußte wohl, was er sich gegen die kleinen deutschen
Fürsten erlauben durfte; sie alle fanden die Forderung des Tuilerienhofes
selbstverständlich. Der badische Minister v. Hacke schrieb sofort an Berstett:
die Gesandten von Frankreich, Rußland und England müssen durchaus
in Frankfurt bleiben, „da diese Mächte immer ein Schutz und eine Stütze
für die deutschen Souveräne gegen Osterreich und Preußen sind“.') Was
der badische Hof in einer geheimen Instruktion verbarg, das sprach Aretin
in seiner Alemannia offen aus. Auch der Gießener Statistiker Crome,
ein alter Bonapartist, der jetzt den Mantel des deutschen Patrioten um-
hing, erwies in seiner Schrift „Deutschlands und Europas Staats= und
Nationalinteresse“: die Einheit Europas und Deutschlands erscheine dann
erst gesichert, wenn jede europäische Macht von Rechtswegen bei dem Deut-
schen Bundestage mitreden könne!
) Reinhard, mémoire sur les légations à Francfort. Hacke, Weisung an Ber-
stett, C. März 1816.