Der Ministerwechsel vom November 1817. 211
stande, auch nur einen genauen Voranschlag für das gesamte Budget
zu entwerfen. Ubellaunig und mißtrauisch wie die Zeit war, schenkte
die öffentliche Meinung jedem gehässigen Märchen Glauben, das über die
geheimnisvolle Lage der Finanzen ausgesprengt wurde. —
Gleichwohl gelang unter dieser wunderlich zersplitterten Verwaltung
der große Umschwung der preußischen Handelspolitik, die folgenreichste
politische Tat der Epoche. Das Verdienst des neuen Finanzministers
wurde nur in dem Kreise seiner vertrauten Räte ganz gewürdigt; der
häßliche kleine Mann mit dem gutmütigen Philistergesichte wußte sich
nicht recht zur Geltung zu bringen, diente dem jungen Kronprinzen oft
zur Zielscheibe für seine ausgelassenen Witze. Eine konservative Natur,
langsam im Urteil, nicht reich an eigenen Gedanken, verstand Klewitz doch
die reformatorischen Ideen anderer besonnen und gründlich zu verarbeiten,
und was er sich einmal angeeignet, das hielt er fest mit zäher Geduld
und unerschütterlichem Gleichmut. Wie er einst in Königsberg bei der
Aufhebung der Erbuntertänigkeit freudig mitgewirkt hatte, so rettete er
jetzt aus dem Schiffbruch der Bülowschen Entwürfe den wertvollsten
Teil, das Zollgesetz, und führte die radikale Neuerung gelassen durch
unter dem leidenschaftlichen Widerstande des In= und Auslandes.)
In dem Sturm und Drang der großen Reformperiode war für die
Umgestaltung des alten Akzisewesens wenig geschehen; man hatte sich be-
gnügt, dem flachen Lande mehrere städtische Steuern aufzulegen und in
Altpreußen die Einfuhr fremder Fabrikwaren gegen eine Akzise von 8⅛
Prozent des Wertes zu gestatten. Daneben bestanden in den alten Pro-
vinzen noch siebenundsechzig verschiedene Tarife, nahezu 3000 Waren-
klassen umfassend; außerdem die kursächsische Generalakzise im Herzogtum
Sachsen, das schwedische Zollwesen in Neuvorpommern, in den Rhein-
landen endlich seit Aufhebung der napoleonischen Douanen ein schlechter-
dings anarchischer Zustand. Und diese unerträgliche Belästigung des Ver-
kehrs gewährte doch, da eine geordnete Grenzbewachung noch fehlte, keinen
Schutz gegen das Ausland. Auch in dem chaotischen Geldwesen zeigte sich
die Abhängigkeit des verarmten Staates von den Fremden: in Posen und
Pommern mußten 48, in den Provinzen links der Elbe 71 fremde Geld-
sorten amtlich anerkannt und tarifiert werden. Schon längst bemerkte der
König mit Besorgnis, wie schwer der gesetzliche Sinn des Volkes durch
die Fortdauer des überlebten Prohibitivsystems geschädigt wurde. Seit die
bürgerlichen Gewerbe auf dem platten Lande sich ansiedelten, nahm der
Schmuggel einen ungeheuren Aufschwung. Im Jahre 1815 versteuerte
jeder Materialwarenladen der alten Provinzen täglich nur zwei Pfund
Kaffee.
*) Ich benutze hier u. a. einen handschriftlichen Aufsatz von L. Kühne, Wer ist der
Stifter des Zollvereins? (1841.) Aus den Papieren des Herrn von Motz.
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