Heerwesen. 225
zu rühmen, die allein den Staat inmitten überlegener Nachbarn aufrecht
halten könne; keine andere Macht vermöge sich diesen Vorzug Preußens
anzueignen, weil keine ein so treues, so opferwilliges und gebildetes Volk
besitze. Die fremden Gesandten dagegen äußerten allesamt ihre Be—
denken gegen die neue Wehrverfassung — die einen, weil sie den demo—
kratischen Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht und die unberechenbare
Kraft dieses Volksheeres insgeheim fürchteten, die anderen, weil sie die
kühne Neuerung wirklich für einen idealistischen Traum hielten. Denn
noch hatten Scharnhorsts Ideen nirgends im Auslande Anklang gefunden.
Die alten Berufssoldaten Frankreichs sahen, uneingedenk der empfangenen
Schläge, das preußische „Kinderheer“ über die Achsel an; und Zar Alexander
sprach in gutem Glauben, wenn er immer wieder die preußischen Generale
warnte: mit solchen Halbsoldaten lasse sich weder ein Krieg führen noch
ein Aufstand niederschlagen.
Sogar die hohen Beamten waren durch jene beredte Denkschrift Boyens
noch keineswegs ganz gewonnen. Während Bülow und Beyme offen die
Rückkehr zu dem alten Heerwesen verlangten, ergingen sich andere, ohne
Unterschied der Partei, in naiven Vorschlägen zur Erleichterung der höheren
Stände. Schuckmann hielt für unzweifelhaft, daß ein gebildeter junger
Mann in höchstens sechs Wochen zum brauchbaren Infanteristen erzogen
werden könne, Solms-Laubach riet, die akademische Jugend von Bonn und
Düsseldorf nur zu einigen Sonntagsübungen einzuberufen. Schön blickte
mit philosophischem Hochmut auf die Paradekünste der Kriegshandwerker
nieder; er wollte alle Offiziere der Landwehr bis zum Obersten hinauf durch
die Kreisstände wählen lassen und meinte, drei Tage Ubungen im Jahre
genügten vollauf zur Schulung eines Freiwilligen.) So tief war jene Ge-
ringschätzung der streng militärischen Ausbildung, die aus Rottecks Schriften
sprach, bis in die Kreise der Staatsmänner hineingedrungen. Unter den
namhaften Publizisten Preußens fand sich kaum einer, der ein Verständnis
zeigte für die Voraussetzungen eines kriegstüchtigen Heerwesens. Selbst
der verständige rheinische Patriot Benzenberg schrieb seinem Gönner
Gneisenau kurzab, bei Belle Alliance habe das Volk gelernt, wie unnötig
die Quälerei des Drillplatzes sei. Arndt wollte sich in Friedenszeiten wo-
möglich mit einem stehenden Generalstabe begnügen; das übrige werde die
Landwehr tun. Der nicht minder patriotische Verfasser der vielgelesenen
Schrift „Preußen über Alles wenn es will“ (1817) hielt ebenfalls das
stehende Heer für überflüssig und dachte mit einer von den Gemeinden
unterhaltenen Landwehr auszukommen. Auch die Partikularisten, die für
die Quotisierung der Steuern schwärmten, suchten das Volksheer für ihre
Zwecke auszubeuten und empfahlen die Bildung von zehn selbständigen
*) Eingaben an Hardenberg: von Schuckmann, 11. Juli 1817, von Schön, 21. Juni,
von Solms-Laubach, 21. Sept. 1818. Schön an General Borstell, 29. Juni 1818.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. U. 15