Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

18 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
anderen den schönen Beruf hat ein Band der Einheit zu bilden zwischen 
den Höhen und den Niederungen der Gesellschaft. In unserem Volke 
entstand nach und nach eine verhängnisvolle Spaltung, die bis zum heu— 
tigen Tage ein arges Gebrechen der deutschen Gesittung geblieben ist: von 
dem schauenden und hörenden sonderte sich das lesende Publikum vor— 
nehm ab. Das Theater mußte sich einen guten Teil seines täglichen 
Bedarfs durch literarische Handwerker liefern lassen: Schauerdramen und 
schlechte Übersetzungen aus dem Französischen lockten die Schaulust der 
Menge. Wer sich zu dem auserwählten Kreise der wahren Dichter zählte, 
trug meist allzu schwer an dem Gepäck der ästhetischen Doktrin, um noch 
so dreist zugreifen, so herzlich lachen zu können wie es die Bühne von 
ihren Beherrschern fordert, und legte seine dramatischen Gedanken in 
Bücherdramen nieder. Diese Zwittergattung der Poesie, deren die über— 
reiche moderne Bildung allerdings nicht gänzlich entbehren kann, gedieh 
in Deutschland üppiger als in irgend einem anderen Volke. Hier, auf 
dem geduldigen Papiere fanden alle die verzwickten Theoreme und phan— 
tastischen Einfälle der eigensinnigen deutschen Köpfe freien Raum: Tragi— 
komödien und Märchendramen, in denen alle erdenklichen Versmaße und 
Arienmelodien wirr durcheinander klangen; geheimnisvolle Anspielungen, 
die nur der Dichter selbst mit seinen Vertrauten verstand; literarische 
Satiren, welche die Kunst selber zum Gegenstande der Kunst machten; 
endlich exotische Dichtungen aller Art, die sich wie Ubersetzungen lesen 
sollten. 
Unter den ausländischen Vorbildern stand Calderon nach dem Ur- 
teil der Eingeweihten obenan. Die deutschen Weltbürger wollten nicht 
sehen, daß dieser rein nationale Dichter eben darum zu den Klassikern 
zählt, weil er die Ideale seiner Zeit und seines Volkes künstlerisch ge- 
staltet hat; sie ahmten sklavisch seine südländischen Formen nach, die in 
unserer nordischen Sprache einen opernhaften, schlechthin undramatischen 
Klang annahmen, und trugen die konventionellen Ehrbegriffe des katho- 
lischen Rittertums in die freie protestantische Welt hinüber. Viel Geist 
und Kraft ward an solche Künsteleien vergeudet; am letzten Ende bewirkte 
das anspruchsvolle Treiben nichts als die Zerstörung aller überlieferten 
dramatischen Kunstformen. Die Poeten aber gewöhnten sich mit stolzer 
Bitterkeit in die undankbare Welt zu blicken. Deutschland wurde das 
klassische Land der verkannten Talente. Die Überzahl der unbefriedigten 
Schriftsteller bildete eine Macht des Unfriedens in der Gesellschaft, sie 
nährte den nationalen Fehler der tadelsüchtigen, hoffnungslosen Verdrossen- 
heit und hat späterhin, als die politischen Leidenschaften erwachten, viel 
zur Verbitterung des Parteikampfes beigetragen. 
Bis zum Fratzenhaften gesteigert erschienen die sittlichen und ästhe- 
tischen Schwächen der romantischen Epigonen in dem zerfahrenen Leben 
Zacharias Werners; sein dramatisches Talent ging ruhmlos unter, weil
	        
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