282 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
der kleinen Städte. Aber der vormals übermächtige Landtag war seit
1810 nicht mehr versammelt worden; seit der Bauernstand mit Eifer die
neuen Kreisversammlungen beschickte, geriet die alte Oligarchie dermaßen
in Vergessenheit, daß die Stargarder Regierung in Berlin anfragte, ob
die Landstuben noch bestünden. Der Bescheid lautete, das werde sich erst
entscheiden, wenn über die Herstellung der Provinzialstände beschlossen
sei.) In Schlesien hatte Friedrich der Große die Fürstentage der kaiser-
lichen Zeit bis auf die letzte Spur beseitigt.
Um so lauter redeten Hardenbergs alte Gegner, die kurmärkischen
Stände. Eigentümlich war diesem Landtage, der wie in Pommern nur
die Prälaten, die Ritterschaft und die Immediatstädte vertrat, eine alte
überaus verwickelte Schuldenverwaltung, „die kurmärkische Landschaft".
Die Stände hatten im sechzehnten Jahrhundert bedeutende landesherrliche
Schulden übernommen und verwalteten seitdem zu deren Verzinsung den
Ertrag einiger Auflagen, welche aber nicht von ihnen selbst, sondern von
dem vielgeplagten „kontribnablen Stande“ bezahlt wurden. Es war das
Musterbild einer feudalen Verwaltung, die ja überall, gleich dem feudalen
Heerwesen, durch unerreichte Kostspieligkeit sich auszeichnete. Eine Ein-
nahme von 300,000 Tlr. jährlich wurde erhoben mit einem Aufwande
von 50,000 Tlr. an Gehalten und Diäten..) Nachdem die Krone schon
in den ersten Jahren der Hardenbergischen Verwaltung die Marsch= und
Molestienkasse nebst einigen anderen Eigentümlichkeiten des ständischen Aus-
schusses aufgehoben hatte, stand jetzt ein neuer Schlag unausbleiblich be-
vor. Da der Staat sein Schuldenwesen ordnete, so mußte er auch jene
märkische Schuld wieder auf seine eigenen Schultern nehmen; die Tage
der kurmärkischen Landschaft waren gezählt. Also begann die kräftigste
Stütze der altständischen Macht zu versinken, und schwer besorgt baten einige
Deputierte der Ritterschaft den König um Wiederherstellung der alten Ver-
fassung und Anhörung der Stände wegen etwa nötiger Anderungen.)
Auch die Neumark besaß ihren „Ober= und Unterstand“, die Altmark und
das Kottbuser Land verlangten wieder einzutreten in die Stände Branden-
burgs. Die unglückliche Verordnung vom 22. Mai gab allen diesen Bestre-
bungen neue Kraft und einen Schein des Rechts. Und — so zauberisch
wirkte das Wort Verfassung auf dies unerfahrene Geschlecht — der Ver-
treter des wohlweisen Berlinertums, der Bonapartist Fr. Buchholz nahm
eifrig Partei für den feudalen Adel; er wurde der literarische Wortführer
der Altständischen, pries in seinem „Journal für Deutschland“ die alte
kurmärkische Verfassung und schloß zufrieden: „so war eine Konstitution
wirklich vorhanden.“
*“) Eingabe der Regierung zu Stargard, 29. April 1814.
**) Bericht der Potsdamer Regierung, 6. Dezbr. 1809.
FEingabe der kurmärkischen ritterschaftlichen Deputierten, 13. August 1814.