28 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
hat keiner wieder geschildert was dem Seelenleben der kleinen Leute seine
einfältige Größe gibt: die verhaltene Kraft der naturwüchsigen Leiden—
schaft, die vergeblich nach einem Ausdruck ringt und dann plötzlich in ver—
zehrenden Flammen durchbricht. Ebenso ungleich blieb sein Schaffen noch
in späteren Jahren. Die romantischen Feinschmecker bewunderten seine
Hühnergeschichte Gockel, Hinkel und Gackeleia; sie konnten nicht genug
preisen, wie hier ein gesuchter Einfall zu Tode gehetzt, Hühnerleben und
Menschenleben in kindischem Spiele durcheinander geworfen wurde. Unter—
dessen schrieb er in allen guten Stunden seine „Märchen“ still für sich
hin, köstliche Erzählungen vom Vater Rhein, von den Nixen und dem
kristallenen Schlosse drunten in den grünen Wellen, Bilder von schalk—
hafter Anmut, traumhaft lieblich wie die rheinischen Sommernächte.
Der ungleich stärkere und klarere Geist seines Freundes Achim v. Ar—
nim fand in der Märchenwelt kein Genügen. Der hatte schon früher in
der „Gräfin Dolores“ ein großes realistisches Talent bekundet; nun wagte
er sich mit dem Romane „die Kronenwächter“ auf die hohe See des histo—
rischen Lebens hinaus und rückte mit seiner kräftigen, unumwundenen
Wahrhaftigkeit den Gestalten unserer Vorzeit herzhaft auf den Leib, bis
sie ihm Rede standen und der markige Freimut, die derbe Sinnlichkeit
des alten Deutschlands, die wüste Roheit seiner Lagersitten, der recht—
haberische Trotz seines reichsstädtischen Bürgertums den Lesern hart und
grell, wie die Gestalten Dürerischer Holzschnitte, vor die Augen traten.
Der ordnende, die Fülle des Stoffes beherrschende Künstlersinn bleibt
freilich selbst diesem liebenswürdigsten Jünger der romantischen Schule
versagt. Unvermittelt wie im Leben liegt das Einfache und das Seltsame
in dem Romane nebeneinander; ein dichtes Gestrüpp von krausen Epi—
soden umwuchert die Erzählung; zuweilen verliert der Dichter die Lust
und läßt sich wie ein unmutiger Schachspieler die Figuren vom Brette
herunterschlagen. Der großgedachten, tiefsinnigen Dichtung fehlt der Ab—
schluß, die Einheit des Kunstwerkes.
Weit größeren Anklang fand Amadeus Hoffmann bei der Masse der
Lesewelt, der einzige Novellendichter, der es durch Fruchtbarkeit und Ge—
schick mit dem betriebsamen Völkchen der Taschenbuchgsschriftsteller auf—
nehmen konnte. In seinem wunderlichen Doppelleben verkörperte sich die
widerspruchsvolle romantische Moral, die mutwillig jede Brücke zwischen
dem Ideale und der Wirklichkeit abbrach und grundsätzlich verschmähte das
Leben durch die Kunst zu verklären. Wenn er den Tag über die gefan-
genen Demagogen verhört und in den Kriminalakten des Kammergerichts
gewissenhaft und gründlich gearbeitet hatte, dann ging ihm erst die Sonne
seiner Traumwelt auf. Dann durfte ihn kein Wort mehr an das Schat-
tenspiel des Lebens erinnern, dann zechte er mit ausgelassenen Freunden
oder phantasierte in Liebhaberkonzerten; und also begeistert schrieb er die
Phantasiestücke in Callots Manier, die Elixiere des Teufels, die Nacht-