364 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Gedanken auf, und die ehrwürdige Albertina blieb erhalten, eine be—
scheidene aber fruchtbare Bildungsstätte für das Oberland, noch immer
ein Brunnen des Lebens, wie es ihr Stifter Erzherzog Albert ihr einst
gewünscht hatte. —
Mittlerweile ward das geplagte Land auch durch kirchliche Wirren
heimgesucht: durch einen Streit mit der Kurie, der für die deutsche Kirchen—
politik fast ebenso folgenreich werden sollte wie der Kampf um das bayrische
Konkordat, denn er vollendete die Niederlage der nationalkirchlichen Bestre—
bungen. Seit Jahren verwaltete Heinrich von Wessenberg als Generalvikar
das Bistum Konstanz. Geistliche und Laien rühmten seine Milde, seine ge—
wissenhafte Tätigkeit, die apostolische Reinheit seines Wandels und nahmen
aus der Hand des allbeliebten Oberhirten willig eine Neuerung hin,
welche der josephinischen Aufklärung des Oberlandes entsprachen aber mit
der strengen Einheit der römischen Kirche sich kaum noch vertrugen- Wessen-
berg führte deutsche Andachtsbücher in den Gemeinden ein, ließ die Bibel,
die er gern das Buch der befreiten Menschheit nannte, in deutscher über-
setzung unter seiner Herde verbreiten; er verminderte die Uberzahl der
Feiertage und gestattete die Einsegnung gemischter Ehen, wenn nur die
Kinder nach dem Geschlechte zwischen beiden Bekenntnissen geteilt würden.
Beim Gottesdienst suchte er die Formenschönheit des katholischen Kultus
mit der eindringlichen Lehre der Protestanten zu verbinden; noch heute
erzählen die alten Leute am Bodensee gern, wie erbaulich es damals in
der Kirche gewesen, da die Predigt noch neben dem Meßopfer zur vollen
Geltung kam. Sein Meersburger Priesterseminar gab den jungen Geist-
lichen tüchtigen wissenschaftlichen Unterricht und erzog sie in den Grund-
sätzen einer friedfertigen, weitherzigen Duldung, welche freilich zuweilen
zu unkirchlicher Verschwommenheit führte. Nicht lang, so begann die
kleine klerikale Partei des Bistums sich über den ketzerischen Neuerer in
Rom zu beschweren; die Kurie sprach ihm mehrmals ihr Mißfallen aus,
der Nuntius in Luzern lebte mit ihm in offener Fehde.
Er aber ahnte nicht, daß die grandiose Konsequenz der römischen
Kirche dem Christen nur die Wahl läßt zwischen der Unterwerfung und
dem Abfall; er wähnte den Mahnungen des Papstes widerstehen und doch
ein katholischer Kirchenfürst bleiben zu können. Dieser frommen, liebreichen
Natur war es nicht gegeben, die großen Gegensätze des kirchlichen Lebens
in ihrer unerbittlichen Schärfe zu erkennen. Durch eifriges Lesen und
im Verkehre mit den gelehrten Prälaten der alten Zeit erwarb er sich
eine Fülle mannigfaltiger Kenntnisse und gelangte doch nicht über den
wissenschaftlichen Dilettantismus hinaus. Die zahlreichen poetischen, philo-
sophischen, politischen und kirchengeschichtlichen Schriften, die er zur Er-
bauung „christlich gesinnter Menschenfreunde“ herausgab, verliefen zuletzt
allesamt in wohlgemeinten moralischen Betrachtungen; ganz flach wurden
sie niemals, aber auch niemals tief, mächtig, eigentümlich; keines seiner